Die Lesefähigkeit weist bei geographischer Atrophie, einer Spätform der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), einen engen Zusammenhang mit der veränderten Netzhautstruktur auf. Das haben Forschende der Augenklinik des Uniklinikums Bonn mit dem National Eye Institute und der University of Utah nachgewiesen. Die Lesegeschwindigkeit macht alltagsrelevante Funktionseinschränkung messbar, die der häufigste Funktionstest in der Augenheilkunde – die best-korrigierte Sehschärfe – nicht widerspiegeln kann. Anhand von Netzhaut-Bildgebung lässt sich der Verlust der Lesefähigkeit einschätzen, selbst wenn die zentrale Sehschärfe noch gut ist. Die Studie ist nun in „JAMA Ophthalmology“ erschienen.
Da der Anteil älterer Menschen wächst, nimmt auch die Zahl der Patienten mit geographischer Atrophie (GA) zu. Dabei handelt es sich um eine späte Form der altersabhängigen Makuladegeneration. Die Netzhauterkrankung führt zu erheblichen Einschränkungen, unter anderem beim Lesen oder Erkennen von Gesichtern. Bislang ist sie noch nicht behandelbar. Alltagsrelevante Funktionstests sind wichtig, um den Erfolg möglicher Therapieansätze zu beurteilen. „Herkömmliche Funktionsuntersuchungen wie die Bestimmung der zentralen Sehschärfe erfassen dabei jedoch nicht alle relevanten nachteiligen Auswirkungen der schwerwiegenden Erkrankung“, erläutert Prof. Dr. Frank G. Holz, Direktor der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn. „Deswegen ist es von besonderer Bedeutung, darüber hinausgehende Funktionstests wie insbesondere das Lesevermögen zu erkunden.“
Hier setzt die von Prof. Monika Fleckenstein initiierte Studie an und untersucht an 85 Teilnehmenden mit geographischer Atrophie den Zusammenhang der Lesefähigkeit mit Befunden der Netzhaut. “Gerade Patienten, bei denen der Ort des schärfsten Sehens noch nicht betroffen ist, zeigen bei klinischen Untersuchungen noch eine gute Sehschärfe”, berichtet Erstautorin Sandrine Künzel aus dem klinischen Alltag an der Universitäts-Augenklinik Bonn. “Dennoch geben sie mitunter starke Einschränkungen in ihrem Alltag an, die auch aus einer eingeschränkten Lesefähigkeit resultieren.”
Dieser Befund wurde nun durch die Studie bestätigt. Sowohl Lesefähigkeit als auch Lesegeschwindigkeit erwiesen sich als wichtige Funktionstests für klinische Therapiestudien. Das vermutete Phänomen der “binokularen Hemmung” – ein negativer Einfluss des schlechter-sehenden Auges beim Lesen – zeigte sich hingegen nicht. Somit sollten sich zukünftige Therapieansätze vor allem auf das besser sehende Auge fokussieren, um insgesamt eine Verbesserung der Sehfähigkeit zu erzielen. „Damit wurde ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Lesefähigkeit als Messgröße bei Therapiestudien geleistet“, freut sich Priv.-Doz. Dr. Maximilian Pfau von der Universitäts-Augenklinik Bonn, der derzeit als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft am National Eye Institute in Bethesda (USA) tätig ist. (JAMA Ophthalmology, 2021; doi: 10.1001/jamaophthalmol.2021.3826)
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn