Heute sind die Wissenschaftler von BioNTech, Moderna und anderen auf mRNA spezialisierten Unternehmen gefeierte Pioniere. Ihnen haben wir die effektivsten Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zu verdanken und damit die Chance, die Corona-Pandemie zu überwinden. Doch dieser Erfolg hat eine jahrzehntelange Vorgeschichte, in der die mRNA-Technologie eher ein Stiefkind der medizinischen Forschung war – trotz ihres früh erkannten Potenzials.
Bote zwischen DNA und Protein
Denn die enormen Einsatzmöglichkeiten von RNA-Wirkstoffen liegen schon lange auf der Hand. „Warum sind wir so überzeugt von der messenger-RNA?“, fragte Moderna-Präsident Stephen Hoge im April 2018 bei einer Investoren-Tagung. „Weil alles Leben, das wir kennen, erst durch messenger-RNA möglich wird. Mit unseren Worten ausgedrückt: mRNA ist die Software des Lebens.“
Tatsächlich ist diese einsträngige Ribonukleinsäure die Voraussetzung dafür, dass unsere Zellen Proteine herstellen können – und damit die Biomoleküle, auf der alle zellulären und körperlichen Aktivitäten beruhen. Die Rolle der mRNA für die Proteinproduktion erkannten Wissenschaftler schon Anfang der 1960er Jahren. Damals wiesen sie nach, dass die mRNA bei der Transkription des Erbguts im Zellkern entsteht. Beim Ablesen eines Gens wird die ursprünglich in der DNA kodierte Bauanleitung eines Proteins kopiert und in ein RNA-Stück umgeschrieben.
Die mRNa wandert nun in das Zellplasma zu den Ribosomen und wird dort im Prozess der Translation ausgelesen. Die zellulären Proteinfabriken setzen entsprechend der RNA-Bauanleitung verschiedene Aminosäuren nach und nach zum gewünschten Protein zusammen. In jeder unserer Zellen findet dieser Prozess tagtäglich in milliardenfacher Ausführung statt.
10.000 Proteinkopien aus einer mRNA
RNA-Wirkstoffe nutzen dieses Prinzip, indem sie maßgeschneiderte Abschnitte der Ribonukleinsäure in die Zelle schmuggeln, um dann die Produktion des gewünschten Proteins anzustoßen. Ist die eingeschleuste mRNA einmal im Zellplasma angekommen, läuft die Translation genauso ab wie bei der von der Zelle selbst produzierten Boten-RNA. Als Ergebnis produziert die Zelle dann genau das Protein, dessen Bauanleitung zuvor von außen zugeführt wurde.
Der Einsatz der mRNA eröffnet damit die Möglichkeit, direkt vor Ort und von der Zelle selbst nahezu jedes beliebige Protein herstellen zu lassen. Und das extrem effizient: Ist die mRNA optimal konfiguriert, wird sie schnell in die Zellen aufgenommen und dort in große Mengen der gewünschten Proteine übersetzt. Aus einer einzigen mRNA kann eine Zelle 1.00 bis 10.000 Proteinkopien herstellen. Weil in der Medizin Proteine bei vielen Krankheiten eine Rolle spielen, ließe sich diese Technologie nahezu überall einsetzen. „Der mRNA sind in dieser Hinsicht nahezu keine Grenzen gesetzt“, sagt Hoge.
Das entscheidende Experiment
Die theoretischen Möglichkeiten dieser Technologie wurden schon in den 1980ern erkannt – spätestens nach einem bahnbrechenden Experiment des US-Forschers Robert Malone. Der damals am Salk Institute im kalifornischen La Jolla arbeitende Doktorand hatte messenger-RNA mit dem Bauplan für ein bestimmtes Protein mit Lipiden vermischt, wodurch die RNA in winzige Fettkügelchen eingeschlossen wurde. Diese Mischung gab er zu einer Zellkultur und konnte dann wenig später beobachten, dass einige der Zellen begannen, das entsprechende Protein zu bilden.
Damit war es erstmals gelungen, fremde mRNA über Lipidtröpfchen in Zellen einzuschleusen und so gezielt die Produktion eines Proteins zu erreichen. Malone schrieb damals in seinem Fachartikel vom Januar 1989: Wenn Zellen Proteine aus in sie eingeschleuste Proteine erzeugen können, dann könnte man RNA auch als Medikament einsetzen.
Doch trotz dieser Aussichten herrschte zunächst Skepsis und die Entwicklung konkreter RNA-Wirkstoffe stagnierte. „Trotz früher, vielversprechender Ergebnisse wurde kaum in die Weiterentwicklung der mRNA-Therapeutika investiert“, erklären Norbert Pardi von der University of Pennsylvania und seine Kollegen in einem Review. Viele anfangs enthusiastisch vorangetriebene Forschungsprojekte verliefen im Sand, Studien wurden aus Mangel an finanzieller Förderung abgebrochen oder gar nicht erst begonnen und Pharmakonzerne investierten ihre Gelder in den 1990er und 2000er Jahren lieber in andere Technologien.
Was aber war das Problem?