Egal ob als Impfstoff oder RNA-Medikament: Wenn man messenger-RNA als Wirkstoff in eine Zelle bringen möchte, muss man drei große Probleme überwinden: ihre Instabilität, ihre entzündungsfördernde Wirkung und die geringe Passierbarkeit der Zellmembran für das RNA-Molekül. Lange galten diese Hürden als nahezu unüberwindbar, weshalb die RNA-Technologie trotz ihres theoretisch enormen Potenzials für die Medizin nur am Rande erforscht wurde.
Schutz vor verfrühtem Abbau
Inzwischen jedoch hat sich die Lage geändert. Dank der hartnäckigen, von vielen Rückschläge geprägten Arbeit von hunderten Wissenschaftlern weltweit ist es der Forschung gelungen, für alle drei Probleme Lösungen zu entwickeln. Das erste ist die Instabilität: Weil die mRNA nur als Bote dient und entbehrlich wird, sobald ihr Code in den zellulären Proteinfabriken ausgelesen wurde, beseitigt die Zelle „nackte“ mRNA relativ schnell. Spezielle Enzyme, sogenannte RNasen, lagern sich am Strangende der mRNA an und bauen sie ab.
Inzwischen weiß man, dass sich dieser Abbau durch einige gezielte Modifikationen an den nicht zum Proteincode gehörenden Enden der RNA-Stränge umgehen oder zumindest hinauszögern lässt. Heutige RNA-Wirkstoffe, darunter auch die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfitzer und Moderna, haben daher spezielle Endkappen am 5′-Ende und veränderte Basenabfolgen am gegenüberliegenden Endstück, dem Poly-Tail-A. Auch der auf diesen „Schwanz“ folgende 3-UTR-Abschnitt, ein ebenfalls nicht für die Proteinproduktion ausgelesener Teil der Boten-RNA, ist modifiziert.
Lipid-Nanopartikel als Stabilisator und Einschleuse-Hilfe
Ein zweiter „Trick“ hilft sowohl gegen das Problem der Instabilität wie auch bei der Aufnahme der RNA in die Zelle : die Verpackung. In den mRNA-Impfstoffen gegen Corona und den meisten im Test befindlichen RNA-Wirkstoffen wird der Ribonukleinsäure-Strang in einem Lipid-Nanopartikel eingeschlossen. Dieses winzige Fettbläschen besteht aus einer Mischung aus vier verschiedenen Lipiden. Zwei dieser Fette, darunter ein Cholesterin und ein weiteres ungeladenes Lipid stabilisieren die Struktur des Nanopartikels, ein weiteres, meist ein Polyethylenglykol (PEG), sorgt für gute Aufnahme und Verträglichkeit.
Die entscheidende Komponente ist jedoch ein viertes, sogenanntes ionisierbares Lipid. Dieses ist unter Laborbedingungen kationisch und damit positiv geladen. Das ermöglicht es ihm, besonders eng an die negativ geladene mRNA zu binden und deren Struktur zu stabilisieren. Sobald das Lipid-Nanopartikel aber in den Körper gelangt, wird diese vierte Fettkomponente neutral und stellt so sicher, dass diese RNA-Fähre nicht zu unerwünschten Gegenreaktionen führt. Gleichzeitig wird dieses neutrale Fettbläschen von der Zellmembran relativ leicht aufgenommen.
Die im Jahr 2000 erstmals umgesetzte Produktion dieser Lipid-Nanopartikel als RNA-Fähren löst damit gleich zwei Probleme der RNA-Technologie: Im Fettpartikel geschützt kommt die mRNA weitgehend ungeschoren an ihrem Wirkort an und wird dort relativ effizient ins Innere aufgenommen. Zusätzlich lassen sich sogar noch Moleküle einbauen, die diese Lipid-Nanopartikel bevorzugt in bestimmte Organe lenken.
Basen-Austausch gegen die Abwehrreaktion
Bleibt noch das dritte Problem: Wird fremde RNA von außen in eine Zelle eingeschleust, schlägt die zelleigene Immunabwehr Alarm, weil sie darin den Angriff eines Virus zu erkennen glaubt. Sogenannte Toll-Like Rezeptoren (TLR) 7 und 8, tasten die durch die Zellmembran eindringenden Substanzen ab und binden RNA und ihre Abbaustoffe. Ist diese Anlagerung erfolgt, löst dies die massive Ausschüttung von Immun- und Entzündungs-Botenstoffen aus. Die Folge ist eine schwere Immunreaktion und der Stopp jeder Proteinproduktion in der Zelle – die Therapie wäre damit zum Scheitern verurteilt.
Einen entscheidenden Durchbruch bei diesem Problem erzielten im Jahr 2005 Katalin Karikó und ihr Kollege Drew Weissman an der University of Pennsylvania. Sie stellten im Experiment fest, dass die zelluläre Abwehrreaktion weitgehend unterblieb, wenn man die RNA-Base Uridin durch die chemisch engverwandte Base Pseudouridin ersetzt.
Der Gencode der RNA wird trotz dieser Modifikation von den Ribosomen korrekt ausgelesen, aber die Toll-Like-Rezeptoren der Zelle lassen sich dadurch irreführen: Sie reagieren nun nicht mehr auf die eingeschleuste mRNA und die Ausschüttung der Immunbotenstoffe bleibt aus. Die Coronavirus-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und von Moderna nutzen eine solche mit Pseudouridin modifizierte mRNA. Viele Experten schreiben die hohe Effektivität beider Vakzinen gegen Covid-19 dieser Modifikation zu.
Oder geht es auch ohne?
Es geht aber auch anders: Die deutsche Biotech-Firma CureVac und einige Forschungsgruppen setzen für ihre RNA-Wirkstoffe auf nicht modifizierte mRNA. Dabei bleibt das Uridin erhalten und man versucht durch eine geringere Dosis und Anpassungen an den nicht-proteinkodierenden RNA-Abschnitten, die Abwehrreaktion der Zelle zu minimieren. Hintergrund dafür sind Tierversuche, die schon vor einigen Jahren eine stärkere Proteinproduktion und annehmbare Nebenwirkungen bei der Gabe nicht-modifizierter RNA zeigten.
Allerdings: Zumindest bei den Corona-Impfstoffen scheint CureVac damit möglicherweise auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Wie das Unternehmen im Sommer 2021 mitteilte, zeigte das Vakzin in der klinischen Studie der Phase II/III nur eine Schutzwirkung von 48 Prozent – zu wenig für eine Zulassung. Das könnte daran liegen, dass die Dosis wegen der nicht-modifizierten RNA um das Drei- bis Sechsfache niedriger liegen musste als bei der Konkurrenz – sonst wären die Nebenwirkungen zu stark.
CureVac sieht die enttäuschenden Resultaten dagegen nicht als Folge der nicht-modifizierten RNA. Stattdessen schreiben sie dies primär der Ausbreitung von mutierten Virenstämmen wie der Deltavariante zu und führen bereits erste, offenbar vielversprechendere Tests mit einer auf dieses Coronavirus optimierten Vakzinvariante durch. Dennoch bleiben Zweifel, ob es für RNA-Therapien nicht doch der bessere und sicherere Weg ist, auf modifizierte RNA zu setzen.