Nochmal gutgegangen: Das europäische Gammastrahlen-Teleskop Integral ist im September nur knapp einem vorzeitigen Ende entgangen. Denn der Satellit geriet wegen eines ausgefallenen Reaktionsrads ins Trudeln und verlor schnell an Energie. Der europäischen Weltraumagentur ESA blieben nur drei Stunden für die Rettung des 19 Jahre alten Teleskops – doch sie gelang. Trotz fragmentarischer Funkverbindung konnten sie den Fehler vom Boden aus beheben.
Das ESA-Weltraumteleskop Integral ist das erste, das kosmische Objekte und Ereignisse sowohl über Gammastrahlung und Röntgenstrahlung als auch im sichtbaren Licht detektieren und abbilden kann. Der seit 2002 in einem stark elliptischen Orbit um die Erde kreisende Satellit ist daher besonders dafür geeignet, Gammastrahlenausbrüche, Supernova-Explosionen und kosmische Strahlung zu erforschen und ihre Quellen auszumachen.
Darmstadt, wir haben ein Problem!
Doch am 22. September 2021 hätte die erfolgreiche Mission des Integral-Teleskops beinahe ein vorzeitiges Ende genommen. Denn gegen Mittag schaltete sich der Satellit plötzlich in den Notfallmodus und begann kurz darauf zu trudeln: Er rotierte mit 17 Grad pro Minute – dies entspricht einer Umdrehung alle 21 Minuten – und eierte zusätzlich um seine Achse. „Durch diese Rotation gelangten Daten vom Teleskop nur noch bruchstückenhaft zur Erde“, berichtet Richard Southworth, Operations Manager der Integral-Mission.
Noch schlimmer jedoch: „Die Batterien des Satelliten entluden sich rapide, weil die Sonnensegel wegen der Rotation immer nur kurze Zeit Sonnenlicht erhielten“, erklärt Southworth. Den Berechnungen des Teams im Darmstädter ESA-Kontrollzentrum zufolge blieben dem wertvollen Teleskop nur noch drei Stunden, bis seine Stromreserve erschöpft sein würde. Träte dies ein, wäre der vier Tonnen schwere Satellit nur noch ein Stück Weltraumschrott.
Elektronik-Ausfall im Van-Allen-Gürtel
Das ESA-Team musste nun schnell handeln. Als erstes wurden alle nicht essenziellen Geräte und Komponenten des Satelliten abgeschaltet, um die Batterien zu entlasten. Das verlängerte die verbleibende Frist auf sechs Stunden. Dann ging es an die Fehlersuche. Wie sich zeigte, hatte es in der Elektronik eines der Reaktionsräder von Integral ein sogenanntes Single Event Upset (SEU) gegeben: Ein energiereiches Teilchen der kosmischen Strahlung traf einen sensiblen Teil der Elektronik und löste eine Art Kurzschluss aus.
„Dieser Ausfall passierte an einem Tag mit keiner besonderen Aktivität im Weltraumwetter“, berichtet Juha-Pekka Luntama von der ESA. Ein Sonnensturm kam daher als Auslöser nicht in Frage. Stattdessen vermuten die Forscher, dass das Teleskop von energiereichen Teilchen des Van-Allen-Gürtels getroffen wurde – dem von schnellen Teilchen erfüllten Außenbereich unseres Erdmagnetfelds. Dies hatte offenbar das Reaktionsrad deaktiviert.
Das Problem: Weil auch die Antriebsdüsen von Integral seit 2020 nicht mehr richtig funktionieren, hat der Satellit nur noch seine Reaktionsräder, um seine Position und Ausrichtung zu kontrollieren.
Trudeln gestoppt, Teleskop läuft wieder
Ein erster Versuch, das Trudeln durch ein einfaches Reaktivieren des ausgefallenen Reaktionsrads zu beenden, scheiterte: Zwar nahm das Rad seine Arbeit wieder auf, Integral rotierte aber weiter. Als nächstes schickte das ESA-Team eine Reihe von Befehlen, durch die auch die beiden anderen Reaktionsräder ihr Verhalten anpassen sollten. Es klappte: Bis zum Nachmittag des 22. Septembers gelang es dem Team, den Satelliten wieder unter Kontrolle zu bringen und die drohende Komplettentladung der Batterien abzuwenden.
„Das war wirklich knapp und wir waren immens erleichtert, den Satelliten aus dieser Nahtod-Erfahrung herauszubekommen“, sagt Andreas Rudolph vom ESA-Operationszentrum ESOC. Zwar gab es kurz darauf einen erneuten kurzzeitigen Ausfall, weil ein Sternensensor durch die Rettungsmaßnahmen nicht mehr korrekt ausgerichtet war, aber auch dies ließ sich beheben. Seit dem 1. Oktober sind alle Instrumente von Integral wieder voll einsatzbereit.
Das ESA-Team arbeitet zudem daran, die Befehlssequenz so zu automatisieren, dass sie bei einem nächsten Ausfall dieser Art ohne Zeitverzögerung übermittelt und umgesetzt werden kann.
Mission geht weiter
„Dank unseres einfallsreichen Teams und der Hilfe von Experten aus der gesamten Raumfahrtindustrie, kann Integral doch noch weitermachen“, resümiert Southworth. „Mit einer fast 20-jährigen Betriebszeit hat Integral schon jetzt alle Erwartungen an die Mission weit übertroffen – ursprünglich war er nur für fünf Jahre ausgelegt.“ Doch wie es aussieht, wird der „rüstige Opa“ unter den Gammastrahlen-Satelliten noch eine Weile durchhalten.
Quelle: European Space Agency (ESA)