Medizin

Genvariante verdoppelt Sterberisiko bei Covid-19

Punktmutation auf dem dritten Chromosom schwächt Abwehrreaktion von Schleimhautzellen

Coronavirus
Eine Punktmutation auf de dritten Chromosom macht die Schleimhautzellen mancher Menschen anfälliger für das Coronavirus SARS-CoV-2.© peterschreiber.media/ Getty images

Genetisch vorbelastet: Forscher haben ein Gen identifiziert, das das Risiko für einen schweren Verlauf und den Tod durch Lungenversagen bei Covid-19 verdoppeln kann. Die Genvariante beeinträchtigt die zelleigene Abwehrreaktion von Schleimhautzellen der Lunge und Atemwege und macht sie so anfälliger für das Coronavirus SARS-CoV-2. Während in Europa rund 15 Prozent der Menschen diese Genvariante tragen, sind es in Südasien bis zu 60 Prozent, wie das Team in „Nature Genetics“ berichtet.

Wie schwer ein Mensch an Covid-19 erkrankt und ob er an der Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 stirbt, hängt von einer Reihe verschiedener Faktoren ab. Dazu gehören neben Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen auch der Immuntyp sowie die genetische Veranlagung. So haben Forscher bereits fünf Genvarianten identifiziert, die einen schweren Verlauf begünstigen. Sie sind mit der angeborenen Immunabwehr und der Regulation von Entzündungsprozessen verknüpft.

Fahndung auf dem dritten Chromosom

Doch es gibt noch ein weiteres Gen, das den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung signifikant mitbestimmt. Schon vor einiger Zeit hatten Wissenschaftler ermittelt, dass ein bestimmter DNA-Abschnitt auf dem dritten Chromosom das Sterberisiko für Corona-Patienten unter 65 Jahren sogar verdoppelt. Was für ein Gen jedoch dahintersteckt und auf welche Weise es die Todesrate durch Covid-19 beeinflusst, blieb unklar.

Das Problem: Die betroffene Genregion umfasst keine proteinkodierenden Gene, sondern Erbgutteile, die eine rein regulatorische Funktion haben. „Damit stammt das genetische Signal aus der ‚dunklen Materie‘ des menschlichen Genoms“, erklärt Seniorautor Jim Hughes von der University of Oxford. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Gene oft nur in bestimmten Zellen und Geweben des Körpers aktiv sind und ihre Funktion daher schwer zu identifizieren ist.

Immunzellen nicht betroffen

Um dem Risikogen dennoch auf die Spur zu kommen, haben Hughes, Erstautor Damien Downes und ihr Team künstliche Intelligenz zu Hilfe genommen, um die Daten mehrerer genomweiter Vergleichsstudien (GWAS) zelltypgenau auszuwerten. Ergänzend führten sie Tests mit Zellkulturen verschiedener potenziell betroffener Zelltypen durch. Im ersten Anlauf engten die Forscher die gesuchte Genvariante auf 28 Kandidaten ein.

Überraschenderweise ergaben erste Zelltests schon bei diesen Kandidaten, dass das Risikogen offenbar in keinem der gängigen Immunzelltypen vorhanden ist. Weder in T-Killerzellen, dendritischen Zellen oder B-Zellen ließen sich die Genveränderungen nachweisen. Anders als die bisher bekannten Risikogene für schwere Verläufe von Covid-19 scheint die gesuchte Genvariante demnach nicht die Funktionsweise des Immunsystems zu beeinträchtigen, wie das Team erklärt.

Basentausch stört Abwehrreaktion von Schleimhautzellen

Was aber ist es dann? Weitere Tests enthüllten eine Genvariante unter den 28 Kandidaten, die vorwiegend in den Schleimhautzellen der Lunge und der Atemwege aktiv ist. Bei Trägern des rs17713054 getauften Risiko-Allels ist an dieser Stelle die DNA-Base Guanin (G) durch ein Adenin (A) ersetzt. Dieser Austausch bewirkt, dass dieser Genabschnitt als regulatorischer Verstärker für ein Gen wirkt, das die Abwehrreaktion der Epithelzellen hemmt.

„Der genetische Faktor, den wir entdeckt haben, erklärt, warum einige Menschen nach einer Corona-infektion so schwer erkranken“, sagt Koautor James Davies von der University of Oxford. Die Genvariante behindert die zelleigene Abwehrreaktion auf das Coronavirus und macht dadurch die Schleimhautzellen der Lunge und Atemwege anfälliger für die Infektion.

Impfung für Betroffene besonders wichtig

Den DNA-Vergleichsstudien zufolge tragen rund 15 Prozent der Europäer diese Risikovariante, bei Menschen afrikanischer Abstammung sind es nur rund zwei Prozent, in Südasien dagegen sind bis zu 60 Prozent der Bevölkerung Träger dieses Risikogens. Nach Ansicht der Forschenden könnte dies neben den sozioökonomischen Faktoren erklären, warum beispielsweise gerade in Indien so viele Menschen Opfer von Covid-19 wurden.

Die gute Nachricht jedoch: Weil diese Genvariante nicht die Funktion des Immunsystems behindert, wirkt die Impfung gegen Covid-19 auch bei den Trägern des Risikogens ganz normal. „Auch wenn wir unsere Gene nicht ändern können, zeigen unsere Ergebnisse aber, dass Menschen mit diesem Risikogen besonders von einer Impfung profitieren“, sagt Davies. „Weil das genetische Signal die Lunge betrifft und nicht die Immunabwehr, kann der Impfstoff das erhöhte Risiko weitgehend ausgleichen.“

Zusätzlich eröffnet das Wissen um den Wirkmechanismus der Risiko-Variante neuen Möglichkeiten, an diesem Punkt anzusetzen und Betroffene gezielter zu behandeln, wie das Team erklärt. (Nature Genetics, 2021; doi: 10.1038/s41588-021-00955-3)

Quelle: University of Oxford

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