Unterschätzter Effekt: Bei jedem Regenguss werden offenbar Unmengen winziger Mikroplastik-Partikel aus dem Ozean in die Atmosphäre geschleudert, wie nun eine Studie enthüllt. Denn jeder aufs Wasser schlagende Tropfen spritzt im Schnitt rund 100 partikelbeladene Folgetröpfchen in die Höhe. Weltweit summiert sich dieser tropfenbedingte Transport auf jährlich rund 100 Billionen durch Regen in die Luft beförderte Mikroplastik-Partikel.
Ob im Ozean, im Boden oder auf den höchsten Bergen: Mikroplastik ist inzwischen längst überall. Auch auf dem Mount Everest oder in den tiefsten Tiefseegräben finden sich diese winzigen Kunststoffteilchen. Sie werden mit den Meeresströmungen und auch über die Luft verbreitet. Selbst in unserem Trinkwasser, der Nahrung und in unseren eigenen Geweben und Organen lässt sich schon Mikroplastik nachweisen.
Fallende Tropfen im Labor und Modell
Wie mobil die winzigen Plastikteilchen sind, enthüllt nun die Studie von Moritz Lehmann von der Universität Bayreuth und seinen Kollegen. Sie haben mithilfe von Experimenten und Modellsimulationen untersucht, was passiert, wenn Regentropfen auf die mit Mikroplastik kontaminierte Meeresoberfläche fallen: Wie viel Wasser spritzt dabei in die Höhe? Und wie viele Mikroplastikpartikel werden dabei aus dem Meerwasser in die Höhe gerissen?
„Experimente allein hätten zu wenige Informationen geliefert. Deshalb haben wir für Simulationen dieser Prozesse einen völlig neuen Code erarbeitet und ein Computermodell entwickelt, das es erlaubt, diese Fragen mit hoher Genauigkeit und in einer noch nie dagewesenen Detailtiefe zu beantworten“, erklärt Seniorautor Stephan Gekle von der Universität Bayreuth.
Ein Regentropfen erzeugt 167 Spritztröpfchen
Die Analysen ergaben: Schlägt ein Regentropfen von rund vier Millimeter Durchmesser auf eine Wasseroberfläche auf, schleudert er im Schnitt 167 kleinere Tröpfchen aus einem ringförmigen Bereich um die Einschlagsstelle in die Luft. Diese Spritztröpfchen stammen aus einer Tiefe von wenigen Millimetern unterhalb der Wasseroberfläche und werden bis zu 80 Zentimeter weit in die Höhe geschleudert. Auch bei den Laborversuchen erzeugte jeder fallende Tropfen mehr als hundert Spritztröpfchen.
Was aber passiert, wenn die Wasseroberfläche – beispielsweise des Ozeans – Mikroplastik enthält? Auch das haben die Forscher sowohl experimentell wie virtuell untersucht. Es zeigte sich: Weil die aufgespritzte Tröpfchenwolke fast ausschließlich aus dem Meerwasser besteht, wird auch das enthaltene Plastik mit in die Luft gewirbelt. „Die Partikelkonzentration in den ausgeschleuderten Tröpfchen liegt im Schnitt bei 87 Prozent der Gehalts im Ausgangspool“, so die Wissenschaftler.
Aufwinde halten das Mikroplastik in der Luft
Konkret bedeutet dies: Wenn die Wasserfläche rund 5.000 Plastikpartikel pro Kubikzentimeter enthält, dann gelangen durch die Spritztröpfchen jedes einzelnen Regentropfens rund 136 Mikroplastik-Partikel in die Luft. „Das bedeutet auch, dass es keinen Filter-Effekt gibt, der das Mikroplastik zurückhält“, erklären Lehmann und seine Kollegen. „Selbst wenn der Regentropfen frei von Partikeln ist, enthält sein Spritzwasser primär kontaminiertes Meerwasser, während er selbst vom Ozean aufgenommen wird.“
Unter idealen Bedingungen fällt ein Großteil der kontaminierten Spritztröpfchen zwar schnell wieder ins Wasser zurück: „Ohne Aufwinde liegt die Flugzeit bei weniger als einer Sekunde“, berichten die Forscher. Doch über der Wasseroberfläche des Ozeans gibt es meist deutliche Aufwinde – im Schnitt steigt dort Luft mit einem Meter pro Sekunde auf. Diese Aufwinde reißen auch die aufspritzenden Tröpfchen mit in die Höhe – und mit ihnen ihre Plastikfracht.
Einmal in der Luft, verdunsten die Spritztröpfchen wegen ihrer geringen Größe von meist weniger als 0,25 Millimetern sehr schnell. Dadurch aber setzen sie das in ihnen enthaltene Mikroplastik frei und dieses kann nun mit dem Wind weitergetragen werden.
Weltweit 100 Billionen Mikroplastik-Partikel pro Jahr
Wie viel Mikroplastik auf diese Weise aus den Ozeanen in die Atmosphäre gelangt, haben Lehmann und sein Team ebenfalls ermittelt. Ihrer Schätzung legten sie den durchschnittlichen Niederschlag über den Ozeanen, die mittlere Tropfengröße und Fläche der Meere zugrunde. Außerdem gingen sie von einem Mikroplastikgehalt von rund 2,9 Partikeln pro Liter Meerwasser aus sowie Aufwinden zwischen 0,5 und 1,5 Metern pro Sekunde.
Das Ergebnis: „Basierend auf unseren Simulationen und diese Daten schätzen wir, dass jährlich bis zu 100 Billionen Mikroplastik-Partikel durch Regenfälle über den Ozeanen in die Atmosphäre gelangen. Je nach Mikroplastikdichte in den verschiedenen Meeresgebieten könnte es aber regional erhebliche Unterschiede geben, wie das Team betont. Satellitenmessungen in Verbindung mit Wettermodellen könnten aber künftig genaueren Aufschluss über diese „Hotspots“ geben. (Microplastics and Nanoplastics, 2021; doi: 10.1186/s43591-021-00018-8)
Quelle: Universität Bayreuth