Tödlicher Farbstoff: Die Herstellung und Verwendung des begehrten Zinnoberrots führte vor rund 5.000 Jahren zu schweren Quecksilber-Vergiftungen, wie nun Analysen von Überresten aus dieser Zeit belegen. Einige der im Spanien der Kupferzeit bestatteten Toten hatten Quecksilbergehalte von mehr als 400 ppm in ihren Knochen – genug für eine schwere Vergiftung. Quelle des Zinnobers war eine der größten Zinnober-Minen der Frühgeschichte im spanischen Almaden.
Gelangt Quecksilber in den Körper, blockiert es Enzyme, stört das Nervensystem und kann durch eine schleichende Anreicherung im Körper zu schweren Gesundheitsschäden führen. Heute gibt es daher strenge Grenzwerte für das Schwermetall. Doch in der Vergangenheit erfreute sich das Quecksilber großer Beliebtheit: Könige ließen Teiche und Springbrunnen mit dem „flüssigen Silber“ anlegen, Heilkundige verwerteten es in Salben und Tinkturen.
Noch verbreiteter aber war die Nutzung von Quecksilber in Form des Minerals Cinnabarit – Zinnober. Weil dieses Quecksilbersulfid beim Zermahlen eine intensiv rote Farbe bekommt, war es jahrtausendelang ein weltweit begehrtes Pigment. Das rote Mineral wurde für Höhlenkunst verwendet, die Maya bemalten damit ihre Häuser und in vielen Kulturen wurde der rote Farbstoff im Rahmen von Ritualen und Zeremonien eingesetzt.
Quecksilber in den Knochen
Welche Folgen die Zinnobernutzung schon in der Frühgeschichte hatte, enthüllt nun eine Studie von Steven Emslie von der University of North Carolina und seinen Kollegen. Sie hatten Knochenproben von 370 Toten aus 23 archäologischen Fundstätten in Spanien und Portugal auf ihren Quecksilbergehalt hin untersucht. Die Toten stammten aus einer rund 5.000 Jahre umfassenden Zeitperiode von der Jungsteinzeit über Kupfer- und Bronzezeit bis in die Antike hinein.
Das Ergebnis: Einige der Toten wiesen überraschend hohe Quecksilberwerte auf. In ihren Knochen lagen die Konzentrationen bei bis zu 400 parts per million (ppm), wie das Team berichtet. Zum Vergleich: Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht schon Werte ab ein bis zwei ppm in Haarproben als bedenklich an. Die untersuchten Toten müssen demnach zu Lebzeiten an einer akuten und tödlichen Quecksilbervergiftung gelitten haben.
Datierungen ergaben, dass die am stärksten betroffenen Toten aus der Kupferzeit zwischen 2900 und 2600 vor Christus stammten. Damit sind sie die ältesten bisher dokumentierten Fälle einer Quecksilbervergiftung beim Menschen.
Vergiftung durch den Zinnoberabbau
Doch woher kam das Gift? Die Analysen zeigten, dass die schwersten Vergiftungen bei Toten aus den Region im Süden und im Zentrum Spaniens auftraten. Die Fundstätten haben gemeinsam, dass sie damals über Handelswege eng mit Almaden in Zentralspanien verbunden waren, wie die Forscher erklären. Dort lag eines der damals größten Abbauzentren für Zinnober, schon ab der Jungsteinzeit würde das quecksilberhaltige Mineral dort abgebaut und verarbeitet.
„Das spricht dafür, dass die hohen Quecksilberwerte der prähistorischen Toten wahrscheinlich eng mit dem Zinnoberabbau und der Nutzung dieses Pigments in rituellen Praktiken verknüpft sind“, sagen Emslie und seine Kollegen. „Schon der Abbau des Zinnobers und das damit verbundene Zermahlen des Erzes setzte die Menschen Quecksilberdämpfen und giftigem Staub aus. Sie müssen dabei erhebliche Mengen des Schwermetalls aufgenommen haben.“
Bei rituellen Praktiken eingenommen
Die Vergiftung einiger der Toten war jedoch so extrem, dass die Wissenschaftler noch eine andere Ursache vermuten: Weil der begehrte Farbstoff als Symbol eines hohen Status galt und eine wichtige Rolle bei Ritualen spielte, könnte das zermahlene Quecksilbermineral damals sogar absichtlich konsumiert worden sein. Schamanen könnten es bei Ritualen zerstäubt oder erhitzt haben, um die Dämpfe einzuatmen. Auch in zeremonielle Umtrunke könnte das Pulver gemischt worden sein.
„Die sozialen Praktiken rund um den Zinnober waren so weit verbreitet und intensiv, dass einige Menschen dadurch unzweifelhaft akut an Quecksilbervergiftung erkrankten“, erklären Emslie und seine Kollegen. Parallel dazu führte der Zinnoberabbau in Almaden vermutlich dazu, dass Gewässer, Böden und Pflanzen der gesamten Umgebung mit Quecksilber kontaminiert waren.
Der Abbau von Quecksilbermineralen in Almaden wurde noch Jahrtausende lang fortgesetzt: Erst im Jahr 2000 schloss die spanische Regierung die Bergwerke, weil sich der Abbau nicht mehr rentierte. Heute ist Almaden ein UNESCO-Weltkulturerbe. (International Journal of Osteoarchaeology, 2021; doi: 10.1002/oa.3056)
Quelle: University of Seville