Archäologie

Der älteste verzierte Schmuck Eurasiens

41.500 Jahre alter Elfenbeinanhänger ist frühestes Zeugnis symbolhafter Punktmuster

Anhänger
Dieser mit Punkten verzierte Anhänger aus Mammutelfenbein ist 41.500 Jahre alt – und damit der älteste Fund seiner Art. © Antonino Vazzana - BONES Lab

Rätselhafte Punktmuster: In Polen haben Forscher den ältesten verzierten Schmuck Eurasiens entdeckt. Der rund 41.500 Jahre alte Anhänger aus Mammutelfenbein ist mit einer geschwungenen Reihe von punktförmigen Gruben geschmückt und ähnelt damit punktverzierten Steinzeitobjekten aus Frankreich und Deutschland. Der Fund belegt damit die weite Verbreitung dieser frühesten Kunsttradition unserer Vorfahren. Was diese Punktmuster jedoch bedeuteten, ist unbekannt.

Das Verzieren von Alltagsobjekten mit Mustern gilt als eine der frühesten Formen menschlicher Kunst. Schon vor rund 40.000 Jahren begannen unsere Vorfahren damit, Knochen, Elfenbeinstücke oder Höhlenwände mit einfachen Verzierungen zu verschönern. Besonders auffällig sind dabei Muster aus vielen gleichartigen Punkten, die unter anderem Felswände und Steinobjekte in Frankreich zieren. Auch in Höhlen der Schwäbischen Alb wurden solche steinzeitlichen Punktmuster entdeckt.

Was diese Punktmuster bedeuten, warum sie so häufig auftauchen und wann unsere Vorfahren mit dieser Art der Verzierung begannen, war jedoch bislang ungeklärt.

Anhänger und Muster
Elfenbeinanhänger aus Stajnia und Zeichnung seines Punktmusters. © Talamo et al./ Scientific Reports, CC-by-sa 4.0

Elfenbeinanhänger mit Punktverzierung

Jetzt wirft ein Fundstück aus Polen neues Licht auf diese frühesten Kunstformen des Menschen. Entdeckt wurde es in der Stajnia-Höhle im Süden Polens, einer Fundstätte, in der neben Neandertaler-Relikten auch Hinterlassenschaften von frühen Vertretern des Homo sapiens gefunden wurden. Unter diesen Fundstücken war auch ein flaches, längliches Stück Elfenbein, das aus einem Mammutstoßzahn gefertigt worden war. Die Form und ein im oberen Teil gebohrtes Loch legen nahe, dass es sich um einen Anhänger handelt.

Das Besondere ist jedoch ist die Verzierung dieses Anhängers: Er trägt auf einer Vorderseite eine geschwungene Reihe von gut 50 in das Elfenbein eingekerbten Punkten. „Die Punkte sind sich in Bezug auf ihre Querschnitte und Form sehr ähnlich, sie wurden wahrscheinlich alle mit dem gleichen Werkzeug und innerhalb kurzer Zeit gemacht“, berichten Sahra Talamo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ihre Kollegen. Das spreche dafür, dass es sich um eine absichtliche Verzierung handele.

„Erstaunliche Präzision“

„Dieses Schmuckstück zeugt von der großen Kreativität und den außergewöhnlichen handwerklichen Fähigkeiten der Homo sapiens-Gruppe, die den Fundort bewohnte“, sagt Koautorin Wioletta Nowaczewska von der Universität Wrocław. „Die Dicke der Elfenbeinplatte beträgt etwa 3,7 Millimeter – beim Schnitzen der Punkte und der Tragelöcher des Anhängers wurde mit einer erstaunlichen Präzision vorgegangen.“ Die Bearbeitung muss am frischen Mammutstoßzahn erfolgt sein, weil das Material sonst zu spröde gewesen wäre.

Um das genaue Alter dieses Schmuckstücks zu bestimmen, entnahm das Forschungsteam winzige Proben des Elfenbeins und unterzog sie einer Radiokarbondatierung. „Die Bestimmung des genauen Alters dieses Schmuckstücks war für seine kulturelle Zuordnung von grundlegender Bedeutung“, erklärt Talamo. „Wenn wir für die Debatte darüber, wann mobile Kunst in steinzeitlichen Homo sapiens-Gruppen erstmals aufkam, eine Lösung finden wollen, müssen wir diese Ornamente mit Hilfe der Radiokohlenstoffmethode datieren.“

Schon rund 41.500 Jahre alt

Das Ergebnis: Der Elfenbeinanhänger ist zwischen 41.340 und 41.730 Jahre alt. „Damit ist er der älteste seiner Art in ganz Eurasien“, konstatieren die Forschenden. Der Anhänger ist zudem das früheste Zeugnis eines mit Punkten verzierten Ornaments überhaupt. „Dies etabliert ein Anfangsdatum für eine Tradition, die eng mit der Ausbreitung des Homo sapiens in Europa verknüpft ist“, so das Team.

Der Fund eines so alten Schmuckstücks mit Punktmuster bestätigt zudem, dass diese Art der Verzierung schon kurz nach der Ankunft unserer Vorfahren in Europa in weit auseinanderliegenden Regionen üblich war: Die Verbreitung dieser steinzeitlichen Punktmuster reicht vom Südwesten Frankreichs über die Schwäbische Alb bis nach Polen. „Es ist faszinierend, dass ähnliche Verzierungen unabhängig voneinander in ganz Europa auftraten“, sagt Koautor Adam Nadachowski von der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Punktmuster
Alter und Fundorte von steinzeitlichen Punktmustern. © Talamo et al./ Scientific Reports, CC-by-sa 4.0

Was bedeuten die Punkte?

Doch welchen Zweck hatten die Punktmuster? Waren sie bloße Verzierungen ohne tieferen Sinn oder steckte eine Bedeutung dahinter? Die Antwort darauf ist bislang stark umstritten. Einige Archäologen halten die Punkte für eine rein ästhetische Verzierung, andere sehen in ihnen mögliche Zählmarken oder sogar astronomische Notationen.

Die geschwungene Punktreihe auf dem Elfenbeinanhänger von Stajnia könnte demnach die Zahl der von ihrem Träger bei der Jagd erlegten Tiere repräsentieren. Andererseits ähnele die Form der Reihe auch verblüffend einem Mond-Analemma, wie Talamo und ihre Kollegen erklären. Als Analemma bezeichnet man die einer schiefen Acht ähnliche Form, die ein Himmelskörper wie die Sonne oder der Mond an den Himmel zeichnen, wenn man ihre Position über längere Zeit immer zur gleichen Tages- oder Nachtzeit aufzeichnet.

„Ob die Schleife des Stajnia-Anhängers auf ein Mond-Analemma verweist oder es sich dabei um eine Zählung von bei der Jagd erlegten Tieren handelt, bleibt ungelöst“, sagt Nadachowski. Der Fund dieses und weiterer Objekte mit solchen Mustern und ihre genaue Datierung können aber dazu beitragen, diese Frage zu klären. (Scientific Reports, 2021; doi: 10.1038/s41598-021-01221-6)

Quelle: Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Steinzeit - Leben wie vor 5000 Jahren von Rolf Schlenker und Almut Bick

Tod im Neandertal. Akte Ötzi. Tatort Troja - Die ungelösten Fälle der Archäologie von Dirk Husemann

Menschen und ihre Materialien - Von der Steinzeit bis heute Von Hans R. Kricheldorf

Top-Clicks der Woche