Medizin

Mikroplastik gelangt bis ins Gehirn

Partikel durchdringen die Blut-Hirn-Schranke und schädigen Mikrogliazellen

Hirnzellen
Kleine Mikroplastik-Partikel können bis ins Gehirn vordringen und dort wichtige Abwehrzellen schädigen. © XH4D/ Getty images

Undichte Barriere: Mikroplastik gelangt nicht nur in unsere Gewebe und Organe, sondern kann sogar bis ins Gehirn vordringen, wie eine Studie an Mäusen und menschlichen Zellkulturen nahelegt. Demnach durchdringen Partikel kleiner als zwei Mikrometer die Blut-Hirn-Schranke und reichern sich schon nach wenigen Tagen in den Mikrogliazellen des Gehirns an. Das löst vermehrt Entzündungen, Zellschäden und ein Absterben der Zellen aus, wie die Forscher berichten.

Mikroplastik ist längst allgegenwärtig: Wir nehmen es mit Nahrung und Trinkwasser auf und selbst der Staub in unserer Atemluft enthält die winzigen Partikel. Ein Teil des Mikroplastiks wird zwar mit dem Kot wieder ausgeschieden, viele weitere Kunststoffteilchen reichern sich aber in unseren Geweben und Organen an, wie Studien nachgewiesen haben. Welche gesundheitlichen Folgen dies hat, ist bisher unklar. Es gibt aber Hinweise darauf, dass vor allem die kleinsten Partikel Zellmembranen schädigen können.

Mikroplastik
Wir nehmen mit Nahrung und Getränken auch Mikroplastik auf. © pcess609/ Getty images

Aus dem Trinkwasser direkt ins Gehirn

Jetzt legt eine Studie nahe, dass selbst unser Gehirn nicht vor der Kontamination durch Mikroplastik geschützt ist. Für ihr Experiment hatten Wookbong Kwon vom Daegu Gyeongbuk Institut in Südkorea und seine Kollegen Mäusen sieben Tage lang Mikroplastik in Form von Polystyrol-Kügelchen oral verabreicht. Die Tiere bekamen täglich eine Dosis der mit einem Fluoreszenzmarker versehenen Partikel in drei Größen – 0,2, zwei und zehn Mikrometer Durchmesser – mit Wasser vermischt zu trinken.

Es zeigte sich: Obwohl das Gehirn eigentlich durch die Blut-Hirn-Schranke gut gegen Kontaminationen aller Art geschützt ist, gelangte das mit dem Trinkwasser aufgenommene Mikroplastik ins Gehirn. Partikel von zwei Mikrometern Durchmesser und kleiner konnten die Barriere passieren, wie die Fluoreszenz anzeigte. Die Plastikteilchen waren schon nach wenigen Tagen im Gehirn der Mäuse nachweisbar.

Anreicherung in den Mikrogliazellen

Die Forscher konnten auch ermitteln, wo im Gehirn das Mikroplastik angereichert wird: „Wir haben festgestellt, dass die Polystyrol-Partikel in den Mikrogliazellen des Gehirns abgelagert wurden“, berichten die Forscher. Die verästelten Mikroglia-Zellen gelten als die Abwehrzellen des Gehirns. Sie geben in Reaktion auf Erreger oder Kontaminationen Botenstoffe und Zellgifte ab und übernehmen damit eine Funktion ähnlich den Weißen Blutkörperchen im Rest des Körpers.

Um herauszufinden, was die Partikel in den Mikrogliazellen bewirken, führten die Wissenschaftler ergänzende Versuche mit menschlichen Mikrogliazellen in Zellkultur durch. Nach Zugabe von Mikroplastik zeigte sich schon nach wenigen Stunden eine Anreicherung des Mikroplastiks im Zellplasma der Mikroglia. Parallel dazu nahm das Wachstum dieser Zellen ab und sie teilten sich weniger.

Entzündungs-Marker und Apoptose

„Nach der Aufnahme der Partikel durch die Zellen haben wir Veränderungen der Zell-Morphologie, der Immunreaktion und des Zelltods beobachtet“, berichten Kwon und sein Team. Konkret führte die Aufnahme des Mikroplastiks bei den Mikroglia-Zellen dazu, dass diese vermehrt Entzündungs-Botenstoffe wie Cytokine zu produzieren begannen. Nach einigen Tagen waren in der Zellkultur zudem vermehrt Marker-Botenstoffe für die Apoptose nachweisbar – den zellulären Selbstmord.

Nach Ansicht des Forschungsteams sprechen diese Ergebnisse dafür, das das Mikroplastik im Gehirn eine neurotoxische Wirkung hat: Es löst entzündliche Prozesse aus und treibt die Mikroglia-Zellen in den Selbstmord. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass kleine Mikroplastik-Partikel ein potenzielles Risiko darstellen“, konstatieren Kwon und seine Kollegen.

Auch andere Partikel schaden dem Gehirn

Nano- und Mikropartikel stehen schon länger im Verdacht, an verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson beteiligt zu sein. So haben Studien bereits nachgewiesen, dass Feinstaubpartikel und insbesondere winzigste Metallteilchen aus verschmutzter Luft bis ins Gehirn vordringen können. Bei Kindern mit einer Häufung solcher Anreicherungen im Gehirn wurden zudem vermehrt fehlgefaltete Proteine nachgewiesen – auch das ein möglicher Hinweis auf schädliche Effekte dieser Partikel.

In Kombination mit den aktuellen Ergebnissen stützt dies den Verdacht, dass auch Mikroplastik-Partikel im Gehirn eine schädliche Wirkung entfalten können. Kwon und sein Team wollen deshalb nun in Folgestudien genauer untersuchen, welche Folgen das Eindringen der Plastikpartikel ins Gehirn hat. (Science of The Total Environment, 2021; doi: 10.1016/j.scitotenv.2021.150817)

Quelle: DGIST (Daegu Gyeongbuk Institute of Science and Technology)

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