Neuro-Manipulation: Koreanische Forscher haben ein System entwickelt, mit dem sich Neuro-Implantate von überall her kontrollieren lassen – auch über das Internet. Durch die Verknüpfung eines drahtlosen Netzwerks mit verschiedensten Neuro-Implantaten kann eine Person theoretisch die Hirnfunktionen von hunderten Versuchstieren gleichzeitig manipulieren und überwachen. Während die Forscher darin Chancen für eine effizientere Forschung sehen, dürften die möglichen Folgen bei anderen eher Unbehagen wecken.
Mensch-Maschine-Schnittstellen ermöglichen es, Hirnsignale auszulesen oder auch bestimmte Hirnareale zu stimulieren. Über Elektrodenkappen können Forscher beispielsweise die Gedanken von Probanden hörbar machen. Mit Neuro-Implantaten manipulieren sie Verhalten und Reaktionen von Tieren. Und es gab Studien, bei denen die Gehirne von Ratten und sogar von Menschen über das Internet miteinander verschaltet wurden. Durch neuartige Mikro-Implantate könnten solche Technologen zudem schonender und breiter anwendbar werden.
Vernetzung mit Bluetooth und Smartphone
Noch einen Schritt weiter geht nun ein Team um Raza Qazi vom koreanischen Institut für Wissenschaft und Technologie (KAIST). Sie haben ein System entwickelt, mit dem sich hunderte Neuro-Implantate weltweit über das Internet steuern lassen. „Diese neuartige Technologie ist vielseitig und hochgradig anpassungsfähig. Sie kann zahlreiche Neuro-Implantate und Labortechniken in Echtzeit kontrollieren“, erklärt Qazis Kollege Jae-Woong Jeong.
Möglich wird dies durch die Kombination von drahtlos gesteuerten neuralen Geräten mit einem lokalen Bluetooth-Netzwerk. In diesem „Piconet“ steuert ein zentrales Kontrollgerät mehrere drahtlos mit ihm verbundene Neuro-Implantate über ein neuentwickeltes Bluetooth-Protokoll. „Die verschiedenen Endgeräte sind darin über 48-Bit Bluetooth-Adressen individuell ansprechbar“, erklärt das Team. „Diese Kontrolle funktioniert zudem nicht nur mit spezialisierten neuronalen Implantaten, sondern auch mit konventioneller Laborausrüstung.“
Für dieses Netzwerk sind nur gängige, kommerziell erhältliche Technikbauteile nötig – und gesteuert werden kann das Ganze über ein Smartphone. „Diese Technologie ermöglicht dadurch das schnelle, spontane Aufsetzen von Netzwerken mit minimalem Aufwand und Komplexität“, so die Forscher.
Neuro-Manipulation per Knopfdruck
Übertragen auf ein Labor erlaubt ein solches Bluetooth-Piconet die gleichzeitige Steuerung von Geräten mit ganz unterschiedlichen Funktionen – ähnlich wie das schon in Smart-Homes etablierte Internet der Dinge. Als Beispiel schildern die Forscher ein Szenario, in dem ein Mensch durch dieses Kontrollnetzwerk gleichzeitig einer Maus eine Droge über das Implantat ins Gehirn injiziert, bei einer zweiten über einen Lichtimpuls bestimmte Gene aktiviert und parallel dazu gleich noch die Laborzentrifuge anwirft.
Dass dies auch praktisch funktioniert, haben Qazi und sein Team bereits mithilfe von optogenetischen Implantaten demonstriert. Bei der Optogenetik sorgt eine Genmanipulation dafür, dass bestimmte Gene sich selektiv durch Licht anschalten lassen. Für ihren Test pflanzten die Forscher Mäusen solche Minigeräte in ein Areal des Hypothalamus ein, in dem das Appetitzentrum liegt. Nach Aktivierung über das Piconet begannen diese Mäuse prompt mehr zu fressen als normal.
Ferngesteuert über das Internet
Doch das ist noch nicht alles: Diese lokalen Drahtlos-Netzwerke lassen sich auch einfach mit dem Internet verbinden – es genügt, als Kontrollgerät einen internetfähigen Mini-Computer wie ein Raspberry Pi zu verwenden, wie Qazi und sein Team erklären. Dann können das Piconet und die mit ihm verbundenen Implantate von überall in der Welt gesteuert werden. In praktischen Tests haben sie eine solche Internetkontrolle für ihr Test-Piconet schon erfolgreich umgesetzt – die Steuerung erfolgte aus 350 Kilometer Entfernung.
Im Prinzip kann so ein Mensch von seinem Laptop aus Neuro-Implantate und Laborgeräte auf der ganzen Welt kontrollieren – gleichzeitig und nahezu in Echtzeit. „Dieses globale Netzwerk für die Neurowissenshaft kann so angepasst werden, dass es eine beliebige Zahl von Piconetzwerken umfasst“, schreiben die Forscher. Dadurch kann ein Wissenschaftler das Verhalten und die Hirnfunktionen von hunderten Labortieren gleichzeitig kontrollieren und die dabei generierten Daten aufzeichnen.
Fortschritt oder Horrorvorstellung?
Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnet diese Technologie ganz neue Möglichkeiten für die neurowissenschaftliche und medizinische Forschung. So könnte damit das Verhalten und die Hirnfunktion von Labortieren erforscht werden, ohne dass Experimentatoren anwesend sind und allein dadurch die Reaktionen beeinflussen. Wegen seiner geringen Kosten und einfachen Handhabung sehen sie zudem das Potenzial für eine künftig massenhafte Anwendung.
Was Qazi und sein Team positiv sehen, dürfte den meisten anderen Menschen jedoch eher Schauer über den Rücken jagen. Denn die Aussicht auf eine Armada von ferngesteuerten Labortieren scheint eher ein Stoff aus dem die SciFi-Horror-Genre als ein wissenschaftlicher Durchbruch. Ganz zu schweigen davon, dass solche Neuro-Netzwerke auch gehackt oder darüber eines Tages auch Implantate von Menschen manipuliert werden könnten.
Zwar weisen auch Qazi und sein Team darauf hin, dass eine Zugangssicherung und Verschlüsselung für solche Netzwerke wichtig ist und dass das Wohl der Tiere immer berücksichtigt werden sollte. Übergeordnete ethische Fragen klammern sie jedoch aus. (Nature Biomedical Engineering, 2021; doi: 10.1038/s41551-021-00814-w)
Quelle: KAIST (Korea Advanced Institute of Science and Technology)