Wie verpackt man einen 25 Quadratmeter großen Teleskopspiegel und einen tennisplatzgroßen Sonnenschild in der Nutzlastkapsel einer Rakete? Genau dieses Problem mussten die Ingenieure der JWST-Mission lösen – und ihre Antwort war das wahrscheinlich komplizierte Gebilde, das je ins All geflogen ist.
Das Eckige muss in das Runde – und wieder heraus
Die Nutzlastkapsel der Ariane-5-Rakete ist innen 16,19 Meter lang und hat einen Durchmesser von 4,57 Meter. Damit das Weltraumteleskop samt seiner riesigen Spiegel und Schutzschilde in dieses Volumen hineinpasst, müssen seine größeren Komponenten zusammengefaltet und zerlegt werden wie ein komplexes Origami-Faltkunstwerk. Und all das, was auf der Erde so sorgsam eingepackt wurde, muss sich dann im Weltraum automatisiert und mit der Präzision eines Uhrwerks zur genau richtigen Zeit wieder entfalten.
Eine ganze Armada von Hebeln, Bolzen, Motoren, Zahnrädern und Kabeln muss dafür perfekt ineinandergreifen. Fällt nur ein Teil aus, ist die gesamte Mission gefährdet. „Eine der ersten Lektionen, die ich vor 40 Jahren in diesem Business gelernt habe, war, Entfaltungen im Orbit unbedingt zu vermeiden“, sagt Mike Menzel, leitender NASA-Ingenieur der Mission. „Aber bei James Webb ist das nicht möglich. Stattdessen muss das Teleskop einige der komplexesten Prozeduren durchführen, die jemals versucht worden sind – entsprechend groß sind die Herausforderungen.“
Sensibler Sonnenschild
Ähnlich wie bei einem Fallschirmsprung ist die erste Hürde schon das richtige Einpacken. Jahrelang tüftelten Dutzende Ingenieure daran, wie sich die hauchzarten, nur 0,025 bis 0,05 Millimeter dünnen Membranen des tennisplatzgroßen Sonnenschilds so falten und packen lassen, dass sie nicht schon durch die Erschütterungen beim Raketenstart oder beim Entfalten reißen. Schließlich wurde eine Konfiguration gefunden, in der sich der fünflagige Hitzeschutz wie eine Decke beidseitig um den Rest des eingeklappten Teleskops legt.
Um die fünf Sonnenschutzlagen im All aufzufalten, zu spannen und in die korrekte, drachenförmige Konfiguration zu bringen, muss zunächst die Schutzhülle zurückrollen und den Weg freigeben. Dann müssen sich 107 Halteklammern in der richtigen Reihenfolge lösen, um die Halteapparatur für die Membranen freizugeben. Nachdem diese ausgefahren ist, werden die Membranen langsam über ein System von 90 Zugseilen gespannt.
Als Vorbereitung für den Ernstfall wurden das Einpacken und die automatisierte Auspacksequenz Dutzende Male mit verkleinerten Modellen und dann originalgroßen Versionen des Sonnenschilds durchexerziert. Mehrfach kam es dabei zu Rissen und Schäden an den Membranen, so dass der Ablauf weiter optimiert werden musste. „Wir haben es geschafft, das Entfaltungs-Prozedere präzise zu synchronisieren, so dass ein langsamer, aber kontrolliert Ablauf entsteht“, sagt NASA-Ingenieur Alphonso Stewart, Leiter des für die Entfaltungssysteme zuständigen Teams.
Allerdings lässt sich das Vakuum des Alls in Vakuumkammern zwar nachbilden, nicht aber die Schwerelosigkeit. Das Team hat daher die automatische Entfaltung in verschiedenen Ausrichtungen überprüft, um den Schwerkrafteinfluss zumindest zu variieren. Eine Generalprobe in der Schwerelosigkeit aber hat es nicht gegeben.
Die Spiegel-Entfaltung
Nicht weniger entscheidend ist das Ausklappen des Primärspiegels. Seine 18 hexagonalen Einzelteile müssen perfekt aneinandergefügt und bis auf wenige Dutzend Nanometer genau ausgerichtet werden, wenn das Teleskop funktionieren soll. Weil der gesamte Spiegel mit 6,50 Metern Durchmesser zu groß für die Ariane-Kapsel ist, sind für den Transport zwei aus jeweils drei Segmenten bestehende Ränder des Spiegels eingeklappt. Diese „Flügel“ wieder auszuklappen, dauert allein schon rund drei Stunden.
Ebenfalls kritisch ist das Entfalten des Aufbaus, an dessen Spitze der 74 Zentimeter große Sekundärspiegel hängt. Für den Transport sind die drei 7,60 Meter langen Stangen eingeklappt und liegen parallel zum Hauptspiegel. Sie müssen sich daher aufrichten und ausfahren, um den Sekundärspiegel in den Strahlengang des vom Primärspiegel gebündelten Lichts zu bringen. Erst wenn diese groben Schritte absolviert sind, beginnt die Feinjustierung der Spiegel durch die Aktuatoren auf ihrer Rückseite. Sie können Ausrichtung und Krümmung jedes Spiegels so anpassen, dass ein perfektes Bild entsteht – sofern jeder der 138 Aktuatoren so funktioniert wie er soll.
178 kritische Prozesse
„Das Webb-Observatorium muss 50 als entscheidend eingestufte Entfaltungsschritte absolvieren und hat 178 Mechanismen, die dies leisten müssen. Jeder Einzelne von ihnen muss funktionieren“, sagt Menzel. „Das Webb-Teleskop zu entfalten, ist mit Abstand das Komplizierteste, das je ein Raumfahrzeug im All durchführen musste. Aber andererseits ist nichts an Webb einfach – und nichts davon haben wir schon einmal zuvor gemacht.“