Astronomie/Kosmologie

29 Tage des Bangens

Der Ablauf der Mission

Schon die komplizierte, mehrschrittige Landung von NASA-Rovern auf dem Mars ist jedes Mal mit „sieben Minuten des Schreckens“ verbunden. Doch beim James-Webb-Teleskop müssen die Beteiligten gleich 29 Tage des Bangens aushalten. Denn so lange dauert es, bis die Hauptkomponenten des Weltraumteleskops vollständig entfaltet und in ihre Positionen gebracht sind.

Ariane 5
Wenige Minuten nach dem Start wird die zweiteilige Hülle der Ariane-Nutzlastkapsel geöffnet. © ESA / D. Ducros

Der erste Tag: Abtrennung und erstes Manöver

Die kritische Phase beginnt schon wenige Minuten nach dem Start: Die beiden Hälften der Nutzlastkapsel werden abgesprengt und 28 Minuten nach dem Start erfolgt die Abtrennung des Teleskops von der ausgebrannten Oberstufe der Ariane-5-Trägerrakete – ab jetzt muss das Webb-Teleskop allein seinen Weg zum Lagrangepunkt 2 finden. Dafür klappt es als erstes seine Sonnensegel aus, um sich mit Strom zu versorgen. Rund zwei Stunden nach dem Start folgen die Antennen für die Kommunikation mit der Bodenstation.

Gut zwölf Stunden nach dem Start absolviert das JWST ein erstes entscheidendes Manöver: Seine Antriebsdüsen feuern und geben ihm den nötigen Schub und den richtigen Kurs für den Flug zum Lagrangepunkt. Schon nach rund zwei Tagen wird das Teleskop den Mondorbit passieren – es ist damit deutlich schneller als die Apollo-Raumkapseln vor gut 50 Jahren.

Zwei Wochen der Entfaltung

Nach drei Tagen beginnt die große Entfaltung: Erst klappen die Halterungen für den Sonnenschild, aus, dann wird der gesamte optische Komplex des Teleskops um rund zwei Meter angehoben und bekommt so den nötigen Abstand vom Sonnenschild und den restlichen „warmen“ Teilen des Observatoriums. Im Verlauf der nächsten rund sieben Tage werden sich dann die fünf Schichten des Sonnenschilds nach und nach entfalten und spannen.

Die zweite Woche der Entfaltungssequenz gehört den Spiegel-Komponenten. Erst wird am zehnte Tag der Sekundärspiegel mit seinen Teleskopstangen ausgefahren, am zwölften Tag klappen die Seiten des Primärspiegels hoch. „An diesem Punkt ist entscheidend, dass diese Strukturen alle richtig eingerastet sind“, erklärt Lee Feinberg vom NASA-Team für den optischen Teil des Observatoriums. „Ein weiterer Aspekt, den wir im Auge haben müssen, ist die Vereisung: Es darf sich kein Eis auf den optischen Bauteilen bilden.“

Unter anderem deshalb werden die Spiegel erst nach dem Sonnenschild und einer gründlichen Abkühlung der Komponenten entfaltet. Sonst bestünde die Gefahr, dass Wasserdampf und andere Gase von den noch wärmeren Komponenten der Sonde ausgasen und auf den kälteren Spiegelflächen kondensieren.

So läuft die Entfaltung des Weltraumteleskops ab.© James Web Telescope

Messen, ruckeln – und beten

Nach 29 Tagen ist der fehleranfälligste und riskanteste Teil der Mission vollendet – hoffentlich erfolgreich. „Wir haben alles getan, damit wir es schaffen“, sagt der leitende Wissenschaftler und Nobelpreisträger John Mather von der NASA. „Wir haben argumentiert, uns gesorgt, geplant, Checklisten gemacht, die Teile gebaut und zusammengefügt und alles getestet, als wenn unser Leben davon abhänge.“

Sollte aber dennoch etwas schiefgehen, gibt es keine Kameras, mit denen das Bodenteams den Ablauf kontrollieren oder mögliche Fehler direkt sehen könnte. Einzige Informationsquelle sind unzählige Sensoren, die überall am komplexen Aufbau Rückmeldung geben, ob ein Bauteil gelöst, ausgefahren, eingerastet oder anderweitig seine Funktion erfüllt hat.

Sollte einer dieser Sensoren eine Fehlermeldung senden, müssen die Ingenieure versuchen, eine mit den Bordmitteln des Observatoriums machbare Lösung zu finden. Klemmt beispielsweise ein Bolzen, eine Klammern oder Kabel, kann das JWST sie versuchen loszuschütteln. „Dafür ruckeln wir die ganze Raumsonde vor und zurück“, erklärt Alphonso Stewart, Leiter des Deployment-Teams der NASA. „Außerdem können wir das gesamte Raumfahrzeug um nahezu jede Achse wirbeln.“

James-Webb-Teleskop
Etwa ein halbes Jahr nach seinem Start wird die wissenschaftliche Mission des James-Webb-Weltraumteleskops beginnen. © NASA/ Adriana Manrique Gutierrez

Ankunft und Beginn der Mission

Als Abschluss der Deployment-Phase wird das James-Webb-Teleskop am 29. Tag nach dem Start ein weiteres Flugmanöver durchführen, um in den Orbit um den Lagrangepunkt 2 einzuschwenken. Gelingt auch das wie geplant, stehen die Chancen gut, dass das größte und komplexeste jemals ins All gebrachte Weltraumteleskop seine Arbeit aufnehmen kann.

Bevor die wissenschaftliche Mission beginnt, vergehen allerdings noch einige Monate, in denen die Spiegel feinjustiert und alle Instrumente durchgetestet und kalibriert werden. „Wenn dann die ersten Daten für Wissenschaftler rund um die Welt eintreffen, wird es das Warten wert sein“, sagt Mather. „Denn letztlich versuchen wir auch die fundamentale Frage zu beantworten, woher wir kommen und warum ausgerechnet auf der Erde Leben entstanden ist.“

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

"Superauge" im All
Das James-Webb-Weltraumteleskop und seine Mission

Mehr als nur ein Hubble-Nachfolger
Was ist das Besondere am James-Webb-Teleskop?

Zurück zu den ersten Sternen
Die wissenschaftlichen Ziele des Teleskops

Beryllium, Gold und Eiseskälte
Der Spiegel des James-Webb-Teleskops

Umgekehrtes Origami
Warum die Mission so riskant und schwierig ist

29 Tage des Bangens
Der Ablauf der Mission

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