Komplexer Zerfall: Wissenschaftler haben mittels Röntgenlaser den genauen Ablauf einer Wasser-Photolyse aufgeschlüsselt – dem von energiereicher Strahlung verursachten Zerfall eines Wassermoleküls. Ihre Rekonstruktion dieses ultraschnellen Prozesses enthüllt unter anderem, wie sich das Molekül vor der Trennung dehnt und verformt und wie dann freie Protonen und aggressive Sauerstoffradikale entstehen. Das liefert wichtige Informationen auch über Strahlenschäden im menschlichen Körper.
Krebserkrankungen bilden in Deutschland die zweithäufigste Todesursache. Zu den Auslösern zählen unter anderem auch erhöhte Strahlenbelastungen, die beispielsweise berufsbedingt oder durch mangelnden Schutz hervorgerufen werden können. Neben der UV-Strahlung durch die Sonne können auch medizinische Röntgenstrahlen oder die kosmische Strahlung hier eine Rolle spielen. Die hochenergetische Strahlung kann die DNA schädigen, aber auch aggressive, geladene Atome erzeugen, beispielsweise in Form der bei der strahleninduzierten Zerschlagung des Wassermoleküls entstehenden freien Radikale.
Wasserspaltung ist erster Schritt
Ein internationales Team um Ludger Inhester vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg hat den strahlungsinduzierten Zerfall eines Wassermoleküls nun genauer beobachten können. Da Wasser in jedem lebenden Organismus vorkommt, steht die sogenannte Photolyse von Wassermolekülen, also die Spaltung durch hochenergetische Strahlung, häufig zu Beginn von Strahlungsschäden.
„Die Kette von Reaktionen, die von energiereicher Strahlung im Körper ausgelöst werden kann, ist allerdings bis heute nicht voll verstanden“, sagt Inhester. „So ist es bereits sehr schwierig, die Entstehung einzelner geladener Ionen und reaktiver Radikale in Wasser zu verfolgen, die nach der Absorption hochenergetischer Strahlung entstehen.“
Wenige Femtosekunden schnell
Um die Reaktion eines Wassermoleküls auf solche Strahlung näher zu untersuchen, beschossen die Wissenschaftler Wasserdampf mit ultrakurzen Blitzen des Röntgenlasers XFEL. Normalerweise zerfällt ein Wassermolekül schon nach der Absorption eines einzelnen Röntgenphotons. „Durch die besonders intensiven Pulse des Röntgenlasers war es möglich, Wassermoleküle zu beobachten, die nicht nur ein, sondern zwei oder noch mehr Röntgenphotonen absorbieren, bevor die Bruchstücke auseinandergeflogen sind“, erklärt Inhester.
Das dabei entstehende Strahlungsmuster verrät, was nach der Absorption des ersten Photons mit dem Molekül passiert. „Die Bewegung des Moleküls zwischen zwei Absorptionen hinterlässt einen eindeutigen Fingerabdruck“, sagt Senior-Autorin Maria Piancastelli. „Durch die genaue Analyse dieses Fingerabdrucks sowie detaillierte Simulationen konnten wir daher Rückschlüsse auf die ultra-schnelle Dynamik des Wassermoleküls nach der Absorption des ersten Röntgenphotons gewinnen.“
Die genaue Beobachtung des Prozesses gelang den Forschern mithilfe des Reaktionsmikroskops COLTRIMS. Das Gerät zeichnet die durch den Prozess entstehenden Strahlenmuster auf und kann Zeitintervalle von wenigen hundert Zeptosekunden, also einer trilliardstel Sekunde, messen. Weil der Spaltungsprozess des Wassermoleküls eine Million Mal länger dauert, konnten die Wissenschaftler den Ablauf mithilfe des Mikroskops wie in Zeitlupe darstellen.
Wasserstoff schaukelt sich auf
Das Ergebnis ist eine detaillierte Rekonstruktion, die zeigt, wie ein Wassermolekül unter dem Einfluss energiereicher Strahlung zerfällt. Sie enthüllt, dass der Prozess deutlich komplexer abläuft als von den Forschern zunächst erwartet wurde. Das Photon löst demnach im Zentrum des Moleküls Elektronen ab aus, wodurch die Wasserstoffatome eine einfache und das Sauerstoffatom eine doppelte positive Teilladung bekommen. Nach der Absorption eines zweiten Photons kann das Sauerstoffatom sogar eine vierfache Teilladung aufweisen.
Durch die so induzierte Elektronenwanderung, den sogenannten Auger-Effekt, werden mechanische Prozesse ausgelöst. Das Molekül beginnt sich deshalb nach der Strahlungsabsorption zu dehnen und zu strecken. Die beiden Wasserstoffatome, die normalerweise im Winkel von 104 Grad an das Sauerstoffatom gebunden sind, können sich dabei so weit aufschaukeln, dass sie sich nach nur zehn Femtosekunden mit rund 180 Grad in etwa gegenüberstehen. Schließlich bricht das Wassermolekül auseinander.
Beginn einer Reaktionskette
Die Wasserstoffkerne werden beim Zerfall des Moleküls in unterschiedliche Richtungen weggeschleudert. Da sich die Impulse durch den 180-Grad-Winkel aber nahezu aufheben, bleibt das Sauerstoffatom recht unbewegt zurück. Das mehrfach positiv geladene freie Sauerstoff-Radikal kann in einer wässrigen beziehungsweise biologischen Umgebung nun äußerst gefährlich werden. „Der Zerfallsprozess des Wassermoleküls ist ein wichtiger initialer Schritt für weitere Reaktionsketten, die am Ende zu Strahlungsschäden führen“, so Inhester.
Die Wissenschaftler wollen die strahlungsbedingten Reaktionsprozesse in Wassermolekülen nun weiter untersuchen, um so die Dynamik innerhalb der Abspaltungsprozesse tiefergehend aufzuklären. Am Deutschen Elektronen-Synchrotron wird hierfür auch das internationale Centre for Melecular Water Science aufgebaut. (Physical Review X, 2021; doi: 10.1103/PhysRevX.11.041044)
Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY