Fettgewebe als Virenbrutkasten: Warum starkes Übergewicht das Risiko für schwere Covid-19-Verläufe erhöht, haben nun Forscher herausgefunden. Demnach befällt das Coronavirus auch das Fettgewebe und kann sich in den Fettzellen vermehren, wie Gewebeproben von Patienten und Zellkulturtests ergaben. Die Infektion der Fettzellen führt zu einer lokalen Entzündung und hat Folgen für den gesamten Stoffwechsel. Die gute Nachricht: Es gibt Medikamente, die diese Effekte abmildern können, wie das Team berichtet.
Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 läuft bei vielen Menschen glimpflich ab, kann aber auch einen schweren Verlauf von Covid-19 auslösen. Als Risikofaktoren dafür gelten neben genetischen Faktoren und dem Immuntyp auch Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Aber auch Menschen mit starkem Übergewicht erleiden überproportional häufig schwere Verläufe, müssen beatmet werden und sterben auch häufiger an der Infektion.
Was aber macht Menschen mit Übergewicht so anfällig für die Coronavirus-Infektion? Einige Antworten darauf haben nun Martin Zickler vom Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie in Hamburg und seine Kollegen gefunden. Für ihre Studie hatten sie zunächst Gewebeproben aus Lunge, Leber und Fettgewebe von 18 Männern und zwölf Frauen untersucht, die an Covid-19 gestorben waren.
Viren und virale Andockstellen im Fettgewebe
Die Analysen ergaben: Bei mehr als der Hälfte der Testpersonen war ein Befall des Fettgewebes mit SARS-CoV-2 nachweisbar. Bei den männlichen Patienten konnten die Forschenden sogar einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Body-Mass-Index (BMI) und der Menge der viralen RNA in den Fettgeweben beobachten. „Insgesamt liefern wir damit den direkten Beleg, dass adipöse Gewebe anfällig für die Infektion mit SARS-CoV-2 sind „, schreiben Zickler und sein Team.
Um herauszufinden, ob und wie gut sich das Virus in den Fettzellen vermehren kann, führten die Wissenschaftler Versuche mit in Kultur gezüchteten Fettzellen durch. Dabei zeigt sich, dass diese Zellen beim Heranreifen erhebliche Mengen des ACE2-Rezeptors auf ihrer Oberfläche produzieren. Sie verfügen damit über reichlich Andockstellen für das Coronavirus. Dies passt zu früheren Studien, nach denen die ACE2-Dichte in den Fettgeweben übergewichtiger Menschen höher ist als bei schlanken.
Virusvermehrung stört Fettstoffwechsel
Wurden die Fettzell-Kulturen mit dem Coronavirus infiziert, zeigten sich schnell Anzeichen für eine Virenvermehrung: „In unseren Experimenten haben wir infektiöse Virentiter am ersten und dritten Tag nach der Infektion nachgewiesen“, so das Team. Wie ergänzende Versuche mit Hamstern enthüllten, breitet sich SARS-CoV-2 von den Atemwegen schnell bis in das Fettgewebe aus und vermehrt sich dort weiter.
Diese Virenvermehrung im Fettgewebe hat Folgen: Sie führt zu einer lokalen Entzündung und beeinträchtigt den gesamten Stoffwechsel. Diese Veränderungen wiederum könnten erklären, warum Covid-19 bei stark übergewichtigen Patienten oft so schwerwiegend verläuft. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die bei Patienten mit Covid-19 beschriebenen Veränderungen des Stoffwechsels durch die SARS-CoV-2-Infektion der Fettgewebe erklärbar sind“, erläutert Koautor Jörg Heeren vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Chance auf neue Therapie-Strategien
Das Gute jedoch: Die Versuche haben auch mögliche Gegenstrategien aufgezeigt. Durch einen Hemmstoff für das Fettabbau-Enzym Lipase konnte das Forschungsteam die Virenvermehrung in den Fettzellen um das Hundertfache verringern. Wurde gleichzeitig der Cholesterinsenker Atorvastatin verabreicht, sank die Virenvermehrung noch weiter.
Noch sind diese Effekte zwar nur in Zellkulturversuchen beobachtet worden, die Wissenschaftler sind aber dennoch zuversichtlich, dass sich damit auch neue Behandlungschancen für übergewichtige Covid.19-Patienten eröffnen. „Da es sich dabei um zwei bereits gegen andere Krankheitsbilder zugelassene Wirkstoffe handelt, könnten unsere Ergebnisse eine Basis für neue Behandlungsstrategien gegen Covid-19 darstellen“, sagt Seniorautorin Gülsah Gabriel vom Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie und der Tierärztlichen Hochschule Hannover. (Cell Metabolism, 2021; doi: 10.1016/j.cmet.2021.12.002)
Quelle: Heinrich-Pette-Institut – Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie