Medizin

Unerkannten Teil unseres Kaumuskels entdeckt

Massetermuskel in der menschlichen Wange besteht aus drei statt zwei Schichten

Musculus masseter
Der hier abgebildete Massetermuskel ist der prominenteste unter unseren Kaumuskeln. Jetzt haben Forscher in ihm eine zuvor übersehen Schicht entdeckt. © madigraphics/ Getty images

Anatomische Überraschung: Bei einem unserer Kaumuskeln haben Forscher einen bisher übersehenen Teil identifiziert. Demnach besteht der sogenannte Massetermuskel nicht aus zwei, sondern aus drei anatomisch und funktionell abgrenzbaren Schichten. Die dritte, tiefste Schicht ist dabei wesentlich für das Zurückziehen unseres Unterkiefers, wie die Wissenschaftler berichten. Damit müssen nun möglicherweise einige Lehrbücher angepasst werden.

Wer glaubt, die menschliche Anatomie sei längst bis ins Letzte erforscht, der irrt. Denn gerade in den letzten Jahren haben Wissenschaftler gleich mehrere zuvor übersehene oder neu entwickelte Strukturen in unserem Körper aufgespürt – von verborgenen Leitungsbahnen über Bänder bis zu Armarterien.

Kaumuskel mit strittiger Anatomie

Eine weiteren anatomischen Fund haben nun Szilvia Mezey und ihre Kollegen von der Universität Basel gemacht – bei unseren Kaumuskeln. Unter den Muskelsträngen, die unser Kiefer bewegen, ist der Musculus masseter der prominenteste. Er beginnt am Jochbogen und zieht sich über die Wange bis zum Unterkiefer. Legt man die Finger auf den hinteren Wangenbereich und presst die Zähne aufeinander, fühlt man, wie er sich anspannt.

In den gängigen Anatomie-Lehrbüchern wird der Massetermuskel meist als aus zwei Schichten bestehend beschrieben. Das war aber nicht immer so: Noch im Jahr 1995 stellte das Standardwerk „Gray’s Anatomy“ den Kaumuskel dreischichtig dar und auch eine Studie von 2003 sah dies so, In beiden Fällen wurde die oberflächliche Schicht noch einmal unterteilt.

Zusätzliche Schicht in der Tiefe

„Angesichts dieser widersprüchlichen Beschreibungen wollten wir den Aufbau des Massetermuskels noch einmal umfassend untersuchen“, erklärt Seniorautor Jens Christoph Türp. Dafür sezierte das Team die Kieferpartie von knapp 30 mit Formaldehyd konservierten menschlichen Toten, analysierte Gewebeproben sowie Computertomografie-Aufnahmen von 16 Toten. Um den Muskel in Bewegung zu sehen, zeichneten die Forschenden zudem die Muskelanatomie bei einer lebenden Testperson mittels Magnetresonanz-Tomografie (MRT) auf.

Massetermuskel
Der neuentdeckte Teil des Massetermuskels setzt am Koronoidfortsatz des Unterkiefers an (links). Seine Fasern laufen zudem schräg zu denen der restlichen Schichten des Musculus masseter. © Jens C. Türp/ UZB

Das überraschende Ergebnis: Die tiefere Schichte des Massetermuskels erwies sich als noch einmal unterteilt. Neben dem schon bekannten Teil dieses Kaumuskels existiert demnach noch eine abgegrenzte tiefere Schicht. „Dieser tiefe Anteil des Massetermuskels lässt sich hinsichtlich seines Verlaufs und seiner Funktion klar von den beiden anderen Schichten unterscheiden“, berichtet Mezey. Unter anderem laufen die Muskelfasern dieser Schicht schräg zu den darüber liegenden.

Wichtig für das Zurückziehen des Unterkiefers

Nach Ansicht des Forschungsteams handelt es sich bei den beobachteten Strukturen um einen eigenständigen, bisher übersehenen Teil des Musculus masseter. „Unser Fund ist ein bisschen so, als hätten Zoologen eine neue Wirbeltierart entdeckt“, sagt Türp. Die neue Muskelschicht beginnt am hinteren Jochbeinfortsatz und endet am Koronoidfortsatz des Unterkiefers – einem aufragenden Knochensporn. Deshalb haben die Forscher diese Schicht jetzt Musculus masseter pars coronidea getauft – coronoider Teil des Masseters.

Die Analysen enthüllten auch, welche Funktion der neu entdeckte Muskelteil hat: Die Lage seiner Ansatzstellen legt nahe, dass diese Schicht an der Stabilisierung des Unterkiefers beteiligt ist. Noch wichtiger jedoch: „Von allen Teilen des Massetermuskels ist der coronoide Teil der einzige, der den Unterkiefer zurückziehen kann“, berichten Mezey und ihre Kollegen. Ohne ihn könnten wir unseren Unterkiefer demnach nicht vor und zurück bewegen. (Annals of Anatomy, 2021; doi: 10.1016/j.aanat.2021.151879)

Quelle: Universität Basel

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