Heimatlose Wanderer: Astronomen haben zwischen 70 und 170 Einzelgänger-Planeten in einer nahen Ansammlung junger Sterne aufgespürt – so viel wie noch nie zuvor. Diese Planeten kreisen nicht um Muttersterne, sondern bewegen sich isoliert durch das All. Die große Zahl dieser Einzelgänger auf relativ engem Raum wirft ein neues Licht auf die möglichen Entstehungsmechanismen solcher sternlosen Exoplaneten, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Astronomy“ berichten.
Die meisten bisher bekannten Planeten sind Teil eines Systems: Sie umkreisen einen oder mehrere Sterne und wurden in der rotierenden Gas- und Staubscheibe um ihren Stern gebildet. Doch es gibt auch Einzelgänger – ungebundene Planeten, die ohne Mutterstern durch das All treiben. Unter diesen sternlosen Planeten sind sowohl erdgroße Gesteinsplaneten als auch große Gasriesen, einige bewegen sich sogar an der Grenze zu Braunen Zwergen.
Gezielte Fahndung
Jetzt haben Astronomen um Nuria Miret-Roig von der Universität Bordeaux die bisher größte Population sternloser Exoplaneten aufgespürt. Für ihre Studie hatten sie Beobachtungsdaten aus 20 Jahren und von zahlreichen Teleskopen ausgewertet, um nach verborgenen Einzelgänger-Planeten in der nahen Sternenassoziation Upper Scorpius zu suchen. Sie liegt rund 420 Lichtjahre entfernt und enthält zahlreiche erste wenige Millionen Jahre alte Jungsterne.
Weil sternlose Planeten kein Licht reflektieren, suchte das Forschungsteam in den mehr als 80.000 Aufnahmen nach den schwachen Wärmesignaturen noch junger Einzelgänger-Planeten, aber auch nach verräterischen Bewegungen umliegender Sterne. „Wir haben die winzigen Bewegungen, die Farben und die Helligkeit von Dutzenden Millionen von Quellen in einem großen Bereich des Himmels gemessen“, erklärt Miret-Roig.
Bis zu 170 sternlose Wanderer
Die Ausbeute war überraschend groß: Zwischen 70 und 170 Einzelgänger-Planeten konnte das Team in den beiden Regionen aufspüren. Die große Spanne kommt dadurch zustande, dass es große Unsicherheiten in Bezug auf das Alter der Himmelkörper gibt. Weil das Alter aber ihre Wärmeabstrahlung und damit Helligkeit bestimmt, könnten einige der helleren Objekte möglicherweise schon Braune Zwerge sein.
Aber selbst wenn man von nur 70 sternlosen Exoplaneten ausgeht, ist dies die größte je identifizierte Ansammlung solcher Einzelgänger. „Wir wussten nicht, wie viele wir erwarten konnten, und sind begeistert, so viele gefunden zu haben“, sagt Miret-Roig. Die meisten dieser Exoplaneten sind Gasriesen von mindestens der Größe des Jupiter. Die Astronomen konnten zudem keine besonderen Auffälligkeiten in der Verteilung erkennen – die Planeten waren relativ gleichmäßig über das Beobachtungsfeld verteilt.
In jedem Quadratgrad ein sternloser Planet – mindestens
Die Menge der Einzelgänger-Planeten erlaubt Rückschlüsse darauf, wie oft solche sternlosen Wanderer vorkommen. Im untersuchten Himmelsausschnitt lag der Anteil solcher Exoplaneten gegenüber Sternen und Braunen Zwergen bei 0,045, wie die Astronomen berichten. Im Schnitt gab es in ihrem Beobachtungsfeld 0,5 bis einen sternlosen Planeten pro Quadratgrad.
Daraus lässt sich ableiten, dass es im Weltall wahrscheinlich weit mehr solcher Einzelgänger-Planeten gibt als lange angenommen. „Es könnte mehrere Milliarden dieser frei schwebenden Riesenplaneten geben, die ohne einen Wirtsstern in der Milchstraße umherziehen“, erklärt Roigs Kollege Hervé Bouy. Das passt zu früheren Schätzungen, nach der es bis zu 50 Milliarden solcher Planeten in unserer Galaxie geben könnte.
Wie sind die Einzelgänger-Planeten entstanden?
Die große Zahl dieser Himmelskörper wirft die Frage auf, wie solche Einzelgänger entstehen. Einige Astronomen gehen davon aus, dass die meisten von ihnen einst in Planetensystemen gebildet wurden. Später sorgten dann von Mit-Planeten oder nahen Sternen ausgelöste Schwerkraft-Turbulenzen dafür, dass sie aus ihrem System geschleudert wurden. Andere Forscher halten es für wahrscheinlicher, dass die Einzelgänger durch den lokalen Kollaps von Gaswolken entstanden sind – ähnlich wie auch Sterne entstehen.
„Unsere große Probe von isolierten Exoplaneten bietet uns eine exzellente Chance, die Theorien zur Stern- und Planetenbildung zu überprüfen“, erklären die Forschenden. Wie sie ermittelten, kommen gängige Modelle des Gaswolken-Kollapses auf einen sehr viel geringeren Anteil von Einzelgängern als beobachtet. „Sie sagen einen Anteil von 0,009 bis 0,019 voraus – das ist siebenfach weniger als es unsere Messungen zeigen“, so Miret-Roig.
Die Astronomen schätzen, dass mindestens zehn Prozent ihrer sternlosen Planeten, wahrscheinlich sogar mehr als 30 Prozent, ursprünglich nicht als Einzelgänger entstanden sind. Stattdessen waren sie vermutlich Teil eines Planetensystems und wurden nachträglich ausgeschleudert. „Planeten von der Masse des Jupiter sind aber relativ schwer auszuschleudern, was bedeutet, dass es sogar noch mehr kleinere Einzelgänger von der Masse der Erde in unserer Galaxie geben könnte“, sagt Miret-Roig. (Nature Astronomy, 2021; doi: 10.1038/s41550-021-01513-x)
Quelle: European Southern Observatory (ESO)