Überraschende Entdeckung: Die resistenten MRSA-Bakterien entstanden nicht erst durch unsere Antibiotika – sie entwickelten sich viel früher, wie nun DNA-Analysen enthüllen. Demnach entwickelte sich der Methicillin-resistente Stamm von Staphylococcus aureus schon vor 200 Jahren in einem harmlosen Bewohner unserer Gärten: dem Igel. Weil dieser oft von einem Pilz befallen ist, der antimikrobielle Substanzen absondert, bildeten die Bakterien ihre Resistenzen aus.
Die Waffen der Medizin werden stumpf: Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen die gängigen Antibiotika und sind kaum noch wirksam zu bekämpfen. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr bis zu 20.000 Menschen an einer solchen Infektion. Gängiger Annahme nach entwickeln sich resistente Bakterien vor allem dann, wenn sie oft mit Antibiotika in Kontakt kommen. Dabei überleben nur die Exemplare, die durch Mutationen oder Genaustausch entsprechende Schutzstrategien entwickelt haben und breiten sich anschließend aus.
Den Wurzeln von MRSA auf der Spur
Wo die Ursprünge des resistenten Krankenhauskeims MRSA liegen, haben nun Jesper Larsen vom Staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen und seine Kollegen näher untersucht. Dieser Methicillin-resistente Staphylococcus aureus kommt heute weltweit vor. Unter anderem dank zweier Resistenzgene, mecA und mecC, ist das Bakterium gegen Penicillin und weitere Antibiotikaklassen immun und führt daher oft zu einer lebensgefährlichen Sepsis.
Weil MRSA auch häufig in Nutztieren wie Kühen vorkommt, hielt man die Antibiotikanutzung in der Tierhaltung bisher für den Auslöser der Resistenzbildung. Gängiger Annahme nach hat sich dieser Bakterienstamm demnach um 1960 herum entwickelt. Merkwürdig jedoch: MRSA-Bakterien mit dem mecC-Resistenzgen kommen überraschend häufig auch in Igeln vor – Tieren, die wenig bis gar keinen Kontakt mit Antibiotika haben.
Igel statt Kühe als Erreger-Reservoir
Um dieser Spur nachzugehen, hat das Forschungsteam das Auftreten von mecC-MRSA bei Igeln in zehn europäischen Ländern und in Neuseeland untersucht. Durch Genvergleiche der Erreger haben sie zudem die Verbreitung und Entwicklung des mecC-Resistenzgens bei MRSA rekonstruiert. „Mithilfe moderner Sequenzierungs-Technologie haben wir die Gene, die mecC-MRSA seine Antibiotika-Resistenz verleihen, den ganzen Weg bis zu ihrem ersten Auftreten zurückverfolgt“, sagt Koautor Ewan Harrison von der University of Cambridge.
Das Ergebnis: Die resistenten Bakterien sind vor allem in Mittel- und Nordeuropa in Igeln stark verbreitet. Vielerorts wurden sie in Igeln sogar deutlich häufiger nachgewiesen als in Kühen oder Menschen, wie Larsen und sein Team berichten. „Bisher galten Milchkühe als wahrscheinlichstes Reservoir für mecC-MRSA und als Hauptquelle für zoonotische Infektionen bei Menschen“, so die Forscher. „Unsere Ergebnisse jedoch deuten darauf hin, die meisten Stammeslinien dieses Erregers aus Igeln stammen.“
Nach Angaben der Wissenschaftler sind demnach nicht Kühe, sondern Igel die primären Träger dieser resistenten Bakterien – und in ihnen entwickelten die Staphylokokken auch ihre Resistenzen.
Immun schon seit 200 Jahren
Die zweite Überraschung lieferte die zeitliche Entwicklung dieser resistenten Keime: Den Genanalysen zufolge tragen die Staphylokokken schon seit rund 200 Jahren die Gene in sich, die sie immun gegen Methicillin und andere Penicillin-Antibiotika machen. Die Bakterien entwickelten ihre Abwehrmaßnahmen demnach schon lange vor der Entdeckung und Nutzung der Antibiotika in der Medizin.
„Damit legt unsere Studie nahe, dass es nicht erst das Penicillin war, das die Entstehung von MRSA angetrieben hat – es war ein natürlicher biologischer Prozess“, sagt Holmes. Er und seine Kollegen vermuten, dass ein natürlicher Produzent von antimikrobiellen Substanzen die Bakterien dazu brachte: Igel tragen oft den Schimmelpilz Trichophyton erinacei auf der Haut, der zwei Penicilline produziert. Um zu überleben, passten sich die Staphylokokken an und entwickelten eine Resistenz dagegen.
„Wir glauben, dass MRSA sich bei diesem Kampf ums Überleben auf der Haut der Igel entwickelte“, sagt Holmes. „Anschließend verbreitete er sich durch direkten Kontakt auch auf Nutztiere und den Menschen.“
Resistenz-Reservoir Wildtier
Nach Ansicht des Forschungsteams unterstreichen diese Erkenntnisse, dass auch Wildtiere bedeutende Reservoire von resistenten Erregern sein können. „Wildtiere, Nutztiere und Menschen sind alle miteinander verbunden – wir teilen ein Ökosystem“, betont Holmes. „Man kann daher die Evolution der Antibiotika-Resistenzen nicht verstehen, ohne das gesamte System zu betrachten.“
Am heutigen Siegeszug der MRSA-Bakterien sind allerdings die Wildtiere und auch die Igel nicht schuld: Zwar können sie lokal ab und zu Erreger an Tier oder Mensch weitergeben. Für den Großteil der MRSA-Infektionen sind aber Erregerstämme verantwortlich, die von Mensch zu Mensch oder von Nutztier zu Mensch übertragen werden. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-021-04265-w)
Quelle: University of Cambridge