Wann und wo entstand unsere Spezies? Neue Hinweise darauf liefert nun die Neudatierung eines der berühmtesten und ältesten Fossilien des Homo sapiens – des Schädels Omo-1 aus Äthiopien. Bisher wurde sein Alter auf ungefähr 197.000 Jahre geschätzt, tatsächlich aber ist er mindestens 230.000 Jahre alt, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Damit rückt Ostafrika wieder in stärker in den Fokus als Wiege unserer Art.
Die Wiege unserer Spezies stand in Afrika – so viel scheint klar. Doch wo und wann dort der erste Vertreter des Homo sapiens entstand, ist aus Mangel an Fossilien strittig. Lange galt Ostafrika als Ursprungsort, weil dort neben vielen Vormenschen-Relikten auch zwei der ältesten Menschenfossilien gefunden wurden – die 170.000 und 197.000 Jahre alten Schädel von Herto und Omo-Kibish in Äthiopien. Doch neuere genetische Analysen und der Fund von schon 300.000 Jahre alten Homo-sapiens-Fossilien in Marokko weckten Zweifel an Ostafrika als Wiege unserer Art.
Wie alt ist Omo-1?
Jetzt allerdings rückt Ostafrika wieder in den Fokus der Debatte. Denn ein Team um Céline Vidal von der University of Cambridge hat eines der ältesten und berühmtesten Menschenfossilien aus Ostafrika noch einmal neu datiert – den Schädel Omo-1. Dieser wurde den 1960er Jahren in der Formation Omo-Kibish im Südwesten Äthiopiens gefunden, einer Region am ostafrikanischen Grabenbruch, die von Vulkanismus geprägt ist. Auch der Schädel Omo-1 war von mehreren Schichten vulkanischer Ablagerungen bedeckt.
„Die Fossilien wurden unter einer dicken Schicht von Vulkanasche entdeckt, die aber niemand mit den gängigen radiometrischen Methoden präzise datieren konnte, weil die Asche zu feinkörnig war“, erklärt Vidal. Auch eine Radiokarbondatierung kam nicht in Frage. Daher blieb die Datierung auf rund 197.00 Jahre mit großen Unsicherheiten behaftet.
Vulkanische „Fingerabdrücke“ als Datierungshelfer
Vidal und ihr Team haben daher die Fundstelle des Fossils noch einmal untersucht und neue Proben der Asche über der Fundschicht des Schädels entnommen. Parallel dazu nahmen sie auch Proben von zwei Vulkanen des äthiopischen Riftsystems, Shala und Corbetti, von denen bekannt ist, dass sie in der Zeit vor 250.000 bis 170.000 Jahren mehrfach ausgebrochen sind. Für ihre Datierung verglichen die Wissenschaftler die geochemischen Merkmale dieser Proben miteinander.
„Jede Eruption hat ihren eigenen Fingerabdruck, der von der Entwicklung und dem Weg der Magma unter der Oberfläche geprägt wurde“, erklärt Vidal. Indem das Team die chemische Zusammensetzung der in diesen Vulkanmaterialien enthaltenen Minerale bestimmte und verglich, konnten sie das Alter der Ascheschicht in Omo-Kibish erstmals genauer datieren.
Schon 230.000 Jahre alt
Das Ergebnis: Die Vulkanasche aus Omo-Kibish stimmte geochemisch mit einer Eruption des 400 Kilometer entfernten Shala-Vulkans überein. Dessen Ausbruch vor rund 230.000 Jahren war offenbar so heftig, dass die Asche bis nach Omo-Kibish getragen wurde – und dort die Gebeine von Omo-1 bedeckte. Der berühmte Urmensch muss demnach vor mindestens 230.000 Jahren gelebt haben – rund 32.000 Jahre früher als bislang angenommen.
„Als ich die Ergebnisse erhielt und feststellte, dass das Homo-sapiens-Fossil demnach älter sein musste als zuvor gedacht, war ich begeistert“, sagt Vidal. Denn damit verschiebt sich das erste Auftreten unsere Spezies in Ostafrika deutlich weiter zurück in die Vergangenheit. Anders als die Funde aus Marokko weist der Schädel von Omo-Kibish zudem keine archaischen Merkmale mehr auf – er ist anatomisch komplett modern.
„Die neue Datierung macht Omo-1 damit gleichzeitig zum ältesten eindeutig modernen Homo sapiens in Afrika“, sagt Koautor Aurélien Mounier vom Menschheitsmuseum in Paris.
Ostafrika als Wiege des Homo sapiens?
Ob Ostafrika die Wiege des Homo sapiens war und wie weit seine Wurzeln dort zurückreichen, bleibt jedoch vorerst offen. „Wir können die Entwicklung der Menschheit nur anhand der Fossilien datieren, die wir haben“, betont Vidal. „Es ist daher nahezu unmöglich zu sagen: Das ist das definitive Alter unserer Spezies.“ Neue Funde und Erkenntnisse könnten die bisherige Zeitlinie jederzeit wieder verändern.
Die Region könnte aber allein schon aufgrund ihrer Geologie und Umweltbedingungen gut als Menschheitswiege geeignet gewesen sein. „Es ist vermutlich kein Zufall, dass unsere frühesten Vorfahren in einer geologisch aktiven Riftzone gefunden wurden“, sagt Vidals Kollege Clive Oppenheimer. „In diesem Grabenbruch sammelte sich Regenwasser in Seen, die Trinkwasser lieferten und Tiere anlockten. Außerdem diente das Tal als Migrationskorridor, der sich über tausende von Kilometern erstreckte.“
Die häufigen Vulkanausbrüche wiederum lieferten Material, um daraus Steinwerkzeuge herzustellen. Zudem könnten die Eruptionen auch die geistige Entwicklung unserer Vorfahren gefördert haben: „Wir mussten unsere kognitiven Fähigkeiten ausbauen, wenn große Ausbrüche die Landschaft veränderten“, erklärt Oppenheimer. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-021-04275-8)
Quelle: University of Cambridge