Bluthochdruck ist nicht immer schlecht: Bei älteren Patienten, die gebrechlich und wenig belastbar sind, kann ein hoher Blutdruck das Sterberisiko senken. Forschende plädieren daher für ein Umdenken in der Behandlung von Bluthochdruck. Denn bisher wird diese Hauptursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch bei solchen Patienten häufig mit blutdrucksenkenden Medikamenten behandelt.
Unser Herz versorgt in jeder Sekunde unseres Lebens die Organe und Gewebe in unserem Körper mit Blut und Sauerstoff. Dafür zieht sich der Herzmuskel zusammen und pumpt Blut in unsere Gefäße. Bei diesem Herzschlag entsteht ein Druck, der als systolischer Blutdruck bekannt ist. Der Druck des Blutes auf ein Blutgefäß ist zu Beginn am größten und sinkt auf dem Weg über Arterien, Kapillaren und Venen immer weiter ab.
Normalerweise geben die Blutgefäße immer etwas nach, wenn das Blut durch sie hindurch schießt. Doch im Alter oder durch krankhafte Veränderungen werden die Blutgefäße weniger elastisch und der Blutdruck steigt an. Diese Hypertonie steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie zum Beispiel einen Schlaganfall oder Herzinfarkt. Deshalb wird der Blutdruck bei Hochdruckpatienten meist medikamentös auf einen systolischen Wert von unter 140 Millimeter Quecksilber (mmHg) gesenkt.
Nebenwirkungen bei älteren Patienten
Doch ist das überhaupt bei allen Patienten sinnvoll? Schon länger ist bekannt, dass blutdrucksenkende Medikamente das Risiko für Schwindel oder Ohnmacht und damit für einen Sturz des Patienten deutlich erhöhen können. Gleichzeitig gibt es Hinweise auf eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten, wenn der systolische Blutdruck bei Älteren deutlich unter 130 mmHg gesenkt wird. Auch andere Nebenwirkungen von blutdrucksenkenden Medikamenten wie Reizhusten, Allergien und Verdauungsprobleme sind bekannt.
Kaj-Marko Kremer von der Universität Ulm und seine Kollegen haben deshalb die Auswirkungen des Bluthochdrucks auf die Gesundheit älterer Patienten noch einmal genauer untersucht und griffen dafür auf die Daten von der ActiFE-Studie (Activity and Function in the Elderly) zurück, die seit 2009 in Ulm durchgeführt wird und vor allem die körperliche Aktivität bei Personen über 65 Jahren erfasst. Von den über 1.100 Teilnehmenden waren etwa 40 Prozent weiblich und das Durchschnittsalter betrug circa 74 Jahre.
Geringere Mortalität bei höherem Blutdruck
Das Forschungsteam berechnete für ihre Analyse den Zusammenhang zwischen systolischem Blutdruck der Patienten und ihrer Mortalität mithilfe von Wahrscheinlichkeitsmodellen. Andere Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Zigaretten- und Alkoholkonsum und Schlafqualität haben Kremer und seine Kollegen mit aufgenommen und im Modell berücksichtigt.
Die Ergebnisse des Forschungsteams bestätigen, dass es manchmal besser ist, bei älteren Patienten auf die Blutdrucksenker zu verzichten: Sie beobachteten, dass die Gebrechlichkeit ihrer Testpersonen einen großen Einfluss darauf nahm, wie der Bluthochdruck ihre Gesundheit beeinflusste. „Wie wir beobachten können, verläuft das Altern von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Neben den fitten und sportlich aktiven Über-80-Jährigen gibt es gebrechliche und wenig belastbare 70-Jährige.“, erklärt Kremer.
Bluthochdruck kann gebrechlichen Menschen helfen
Und bei solchen gebrechlichen Patienten stießen die Forschenden auf scheinbar verblüffende Ergebnisse: Das Sterberisiko sank mit der Zunahme des Blutdrucks. Das geringste Risiko verzeichneten demnach die stark gebrechlichen Personen mit einem Blutdruck von 160 mmHg oder höher. Im Gegensatz dazu lag bei „fitteren“ Personen das geringste Sterberisiko bei einem systolischen Blutdruck von 130 mmHg, was auch dem Blutdruck entspricht, den Medikamente anvisieren.
Nach Ansicht der Wissenschaftler sollten bei der Behandlung von Bluthochdruck daher definitiv mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Sie raten dazu, die körperliche und kognitive Fitness im Alter bei der patientenspezifischen Behandlung von Bluthochdruck in Zukunft mit einfließen zu lassen. (Hypertension, 2022; doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.121.17530)
Quelle: Universität Ulm