Physik

Exotisches Teilchen im Quark-Gluon-Plasma

Nachweis des X(3872)-Partikels könnte Aufschluss über seine Struktur geben

Urknall
Im Teilchenbeschleuniger KLHC erzeugen Blei-Kollisionen einen Zustand wie kurz nach dem Urknall. In diesem Quark-Gluon-Plasma haben Physiker jetzt ein exotisches Teilchen nachgewiesen.© MIT/ iStock.com

Kurzlebiger Exot: Seit Jahren rätseln Physiker über die Natur eines exotischen Teilchens aus Quarks und Antiquarks, das in einigen Teilchenkollisionen entdeckt wurde. Jetzt ist es erstmals gelungen, dieses X(3872) getaufte Teilchen auch im Quark-Gluon-Plasma nachzuweisen – dem im Beschleuniger kurzzeitig erzeugten Urzustand des Kosmos. Dies eröffnet nun die Möglichkeit, Struktur und Merkmale dieses Teilchens aufzuklären, wie die Forscher berichten.

Quarks sind fundamentale Bausteine der Materie – in ihr sind jeweils zwei oder drei Quarks über Gluonen miteinander verbunden. Doch inzwischen haben Physiker bei Kollisionen in Teilchenbeschleunigern eine ganze Reihe weiterer, exotischer Quarkkombinationen entdeckt, darunter Teilchen aus vier, fünf oder sogar sechs Quarks. Bei einigen von ihnen ist allerdings noch völlig unklar, wie sich die Quarks in ihnen gruppieren und welcher Natur sie sind.

X(3876)
Mögliche Strukturvarianten des X(3872)-Teilchens. © CMS Collaboration / CERN

Rätsel um das X-Teilchen

Zu diesen Rätselteilchen gehört auch X(3872), ein Teilchen, das 2003 erstmals bei Elektronen-Positronen-Kollisionen im Belle-Experiment in Japan auftauchte. Später wurde es auch bei Protonenkollisionen im Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum CERN nachgewiesen. Das Problem jedoch: Dieses X-Teilchen kam so selten vor und war so kurzlebig, dass sein Aufbau bisher unklar ist. Die Teilchenmasse von 3.872 Megaelektronenvolt und das Zerfallsverhalten lassen zudem mehrere Möglichkeiten der inneren Struktur für X(3872) zu.

Es könnte sich um ein Tetraquark aus zwei Quarks und zwei Antiquarks handeln oder aber ein nur lose gebundenes „Molekül“ aus einem D0-Meson und dessen Antiteilchen. Ein D0-Meson besteht aus einem schweren Charm-Quark und einem Anti-Up-Quark. Denkbar wäre aber auch, dass es sich bei dem X-Teilchen um ein neues, angeregtes „Charmonium“ handelt – eine Kombination aus einem Charm-Quark und einem Anti-Charm-Quark.

Spurensuche im Quark-Gluon-Plasma

Um mehr über die Natur des rätselhaften C-Teilchens herauszufinden, haben nun Physiker der CMS-Kollaboration einen andern Ansatz gewählt: Sie haben versucht, X(3872) auch bei energiereichen Kollisionen von Bleikernen im LHC zu produzieren und nachzuweisen. Bei diesen Kollisionen wird so viel Energie frei, dass winzige Sekundenbruchteile lang ein Quark-Gluon-Plasma im Inneren des Beschleunigers entsteht – der energiereiche, superflüssige Materiezustand, der direkt nach dem Urknall herrschte.

„In diesen Plasma sind so viele Quarks und Gluonen präsent, dass dies die Produktion von X-Teilchen verstärken müsste“, sagt Yen-Jie Lee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Allerdings hielt man ihren Nachweis für zu schwierig, weil in dieser Quark-Ursuppe zu viele andere Teilchen entstehen.“ Um dieses Problem zu lösen, trainierte das Forschungsteam einen lernfähigen Algorithmus darauf, die Zerfallssignaturen von X(3872) zu erkennen und ließ das Programm dann auf einen LHC-Datensatz von rund 13 Milliarden Bleikollisionen los.

Nachweis gelungen

Mit Erfolg: Den Physikern gelang es, zwischen den Milliarden anderen Teilchensignaturen auch die Spuren von rund 100 Teilchen des Typs X(3872) zu identifizieren. Sie manifestierten sich als messbarer „Buckel“ in der Massenkurve der bei den Bleikollisionen entstandenen Teilchen. „Es ist fast unglaublich, dass wir es wirklich geschafft haben, diese 100 Teilchen aus einem so großen Datensatz herauszufischen“, sagt Lee.

Damit ist es erstmals gelungen, das rätselhafte X(3872)-Teilchen in einem Quark-Gluon-Plasma nachzuweisen. Die Signifikanz dieses Nachweises liegt bei 4,2 Standardabweichungen, wie das Team berichtet. „Jetzt wollen wir das Quark-Gluon-Plasma nutzen, um mehr über die innere Struktur des X-Teilchens herauszufinden“, sagt Lee. Bisher reichen die Daten aber noch nicht aus, um die Struktur des X-Teilchens eindeutig einzugrenzen. Sie lassen beide Varianten – das Tetraquark oder ein D0-Mesonpaar zu.

„Erst der Anfang“

„Das ist aber erst der Anfang“, betont Lee. „Jetzt haben wir erstmal gezeigt, dass wir das Signal von X(3872) finden können. In den nächsten Jahren werden wir dann noch weit mehr Daten erhalten und so mehr über die innere Struktur des Teilchens in Erfahrung bringen können.“ Dies werde auch dazu beitragen, das Wissen über die Teilchenarten zu erweitern, die in der Anfangszeit des Universums existierten. (Physical Review Letters, 2022; doi: 10.1103/PhysRevLett.128.032001)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology (MIT)

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