Einsteins Effekt vermessen: Wie lange braucht Materie, um auf die Energiezufuhr durch Licht zu reagieren? Das haben Physiker nun mit einer neuen Methode ermittelt. Elektronen reagieren demnach mit einer Verzögerung von im Schnitt 130 Attosekunden auf den Lichteinfall – dies bestätigt die theoretischen Modelle, wie das Team im Fachmagazin „Nature Communications“ berichtet. Die genaue Dauer der Verzögerung hängt allerdings davon ab, in welchem Winkel die Teilchen das Molekül verlassen.
Schon Albert Einstein beschrieb 1905 diese fundamentale Wechselwirkung von Licht und Materie: Wenn Licht auf ein Atom trifft, überträgt es einen Teil seiner Energie und als Folge nehmen Elektronen höhere Energiezustände ein oder werden sogar aus dem Atom ausgeschleudert. Seither haben Physiker diesen photoelektrischen Effekt genauer erforscht und unter anderem gemessen, wie lange er anhält, welchen Anteil Atomkern und Elektronen daran haben und auch, dass die Elektronen mit Verzögerung auf die absorbierten Photonen reagieren.
Das Problem jedoch: „Der Zeitabstand zwischen Photonenabsorption und Elektronenemission ist sehr schwer zu messen, weil er nur wenige Attosekunden kurz ist“, erklärt Seniorautor Till Jahnke von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. In bisherigen Ansätzen wurden verschiedene Attosekunden-Laserpulse genutzt, um Moleküle anzuregen, auf die dann Infrarot-Laserpulse folgten. Inzwischen jedoch haben Forschungen ergeben, dass es bei solchen Experimenten zu Störeffekten kommt, die die Messergebnisse verfälschen.
„Reaktionsmikroskop“ als Elektronen-Stoppuhr
Das Team um Jahnke und Erstautor Jonas Rist von der Universität Frankfurt hat daher eine andere „Stoppuhr“ für die Elektronenfreisetzung verwendet. Sie beschossen dafür ein Kohlenmonoxid-Molekül mit Röntgenlicht der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin. Der Röntgenstrahl besaß genau die passende Energie, um eines der Elektronen aus der innersten Elektronenschale des Kohlenstoffatoms herauszuschlagen.
Um nun zu messen, wann das Elektron aus dem Molekül austritt, nutzte das Team ein COLTRIMS-Reaktionsmikroskop. Dieses detektiert die subtilen Interferenzeffekte, die das Elektron aufgrund seiner Wellennatur erzeugt. „Anhand dieser Interferenzeffekte, die wir mit dem Reaktionsmikroskop messen konnten, ließ sich die Verzögerungsdauer indirekt mit hoher Genauigkeit bestimmen, auch wenn die Zeitdauer unglaublich kurz ist“, erklärt Rist.
Auf den Winkel kommt es an
Das Ergebnis: Die sogenannte Wigener-Verzögerung liegt im Schnitt bei rund 130 Attosekunden, wie die Physiker ermittelten. Allerdings ist diese winzige Pause zwischen Lichteinfall und Elektronenfreisetzung nicht immer gleich lang. Sie hängt von der Energie und Geschwindigkeit des Elektrons ab und von der Richtung, in der das Teilchen aus dem Molekül austritt. Beides wurde für den photoelektrischen Effekt bei Molekülen wie dem Kohlenmonoxid vorhergesagt.
Der Grund: Beim Kohlenmonoxid-Molekül stehen Sauerstoff und Kohlenstoff in einer gemeinsamen Achse. Wenn nun herausgeschleuderte Elektronen sich parallel zu dieser Hauptachse bewegen, stehen sie länger unter dem Einfluss der elektromagnetischen Felder innerhalb des Moleküls. Das führt zu Resonanzeffekten, die die Freisetzung ein klein wenig mehr verzögern – je nach Winkel unterschiedlich stark.
Wichtig auch für chemische Reaktionen
Die neuen Messungen bestätigen damit die theoretischen Modelle und belegen gleichzeitig, dass die Methode für die Messung dieses Effekts geeignet ist. „Anders als frühere Ansätze erfordert diese Messung der Attosekunden-schnellen Vorgänge aber keine ultrakurzen Laserpulse, um die Photoemission zu triggern“, schreibt das Team. „Wir messen den nativen Ionisationsprozess durch ein Photon im ungestörten Molekül – ohne die Notwendigkeit eines begleitenden Laserfelds.“
Wie Rist und seine Kollegen betonen, sind solche Messungen des photoelektrischen Effekts nicht nur für die physikalische Grundlagenforschung wichtig. Sie prägen auch viele grundlegende chemische Prozesse, bei denen Elektronen auf benachbarte Molekülen übertragen werden und dort weitere Reaktionen auslösen. „In Zukunft könnten solche Experimente deshalb auch helfen, chemische Reaktionsdynamiken besser zu verstehen“, sagt Jahnke. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-021-26994-2)
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main