Physik

Einsteins Zeitdehnung im Millimeter-Maßstab

Optische Atomuhr stellt neuen Rekord bei der Messung der gravitativen Zeitdilatation auf

Strontium-Atomuhr
In dieser kleinen Kammer schwebt die Atomwolke, mit der Forscher die bisher präziseste Messung der Einstein'schen Zeitdehnung durchgeführt haben. © Jacobson/ NIST

Rekordmessung: Forscher haben erstmals die Zeitdehnung durch Schwerkraft bei nur einem Millimeter Höhenunterschied gemessen. Möglich wurde dies durch eine optische Gitter-Atomuhr aus rund 100.000 ultrakalten Strontiumatomen. Ein spezielles Lasergitter hielt die Atome in verschiedenen Höhen der schwebenden Wolke und detektierte ihr „Ticken“. Die Messung bestätigt Einsteins Zeitdilatation und liefert wichtige Korrekturdaten für quantenphysikalische Messungen und Uhren, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Im Jahr 1915 revolutionierte Albert Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie unsere Vorstellung von Raum und Zeit. Denn seither ist klar, dass die Gravitation sogar Licht und Zeit dehnen kann. Diese Zeitdehnung wurde bereits in den 1970er Jahren durch Messungen in Flugzeugen und auf Satelliten nachgewiesen. 2018 präzisierten Wissenschaftler den Wert dieser Zeitdilatation durch mobile Atomuhren in den Alpen. 2020 führte ein Team in Japan die bisher genaueste Messung in einem 450 Meter hohen Turm in Tokio durch.

Um 0,1 Trillionstel langsameres „Ticken“

Jetzt ist ein weiterer Durchbruch gelungen: Ein Team um Tobias Bothwell vom JILA-institut des US National Institute of Standards and Technology (NIST) und der University of Colorado hat die Zeitdehnung innerhalb einer einzigen Atomwolke und mit nur einem Millimeter Höhendifferenz gemessen. „Wir haben damit zum ersten Mal den von der Schwerkraft verursachten Frequenzgradient innerhalb einer Atomprobe beobachtet und die Gravitations-Rotverschiebung bis in den Submillimeterbereich hinein aufgelöst“, so das Team.

Die Messungen ergaben: Die Schwerkraft verlangsamt das als Strahlungsfrequenz messbare „Ticken“ der einen Millimeter tiefer schwebenden Atome um 0,1 Trillionstel. Dieser Wert stimmt mit den Vorhersagen der Relativitätstheorie überein, wie die Forschenden erklären. Die Messunsicherheit betrug ihren Angaben nach nur 7,6 mal 10-21 – sie ist damit 100-fach geringer als bei früheren Messungen. In Abstand und Präzision haben Bothwell und sein Team damit einen neuen Rekord aufgestellt.

„Scheibchen“ aus verschränkten Atomen

Möglich wurde diese Messung durch eine sogenannte optische Gitter-Atomuhr. Dabei wird eine Wolke aus rund 100.00 Strontiumatomen auf 100 Nanokelvin abgekühlt und in einem Gitter aus Laserstrahlen der Schwebe gehalten. Die stehenden Wellen des optischen Gitters formen die Atomwolke zu einer taillierten Säule und unterteilen sie in einzelne flache „Scheibchen“. Dies verringert Fluktuationen und Verzerrungseffekte, wie das Team erklärt.

optisches Gitter
Die einzelnen Strontiumatome werden von gitterförmig angeordneten Laserstrahlen festgehalten.© NIST

Zusätzlich sind die Strontiumatome in den einzelnen Schichten quantenphysikalisch miteinander verschränkt. Sie reagieren dadurch einheitlicher und erhöhen so die Präzision der Messung noch weiter. Eine Atomuhr nach ähnlichem Prinzip hatten US-Forscher im Jahr 2020 vorgestellt. Sie war so genau, dass sie seit dem Urknall nur um 100 Millisekunden falsch gehen würde.

Bothwell und seinen Kollegen gelang es bei ihren Messungen, diese Quantenkohärenz der Atome bis zu 37 Sekunden lang aufrechtzuerhalten. „Solche verlängerten Kohärenzzeiten der Atome sind für die Genauigkeit und Präzision der Messung entscheidend“, erklären sie.

Atomarer Zustandswechsel als „Ticken“

Für die Zeitmessung werden die Strontiumatome durch einen weiteren Laserstrahl angeregt. Die Frequenz, bei der die verschränkten Atome in den angeregten Zustand übergehen, entspricht dem „Ticken“ einer solchen optischen Atomuhr. Weil die Atome in den unteren Schichten der Uhr stärker der Erdschwerkraft ausgesetzt sind, müsste die für ihr Ticken nötige Frequenz um einen winzigen Wert in den langwelligeren roten Bereich verschoben sein.

Ob das so ist, prüften die Forschenden mithilfe der Fluoreszenz-Spektroskopie, die noch winzigste Abweichungen der Frequenz detektieren kann. Weil die Messapparatur zudem eine räumliche Auflösung von sechs Mikrometern erreichte, konnten die Wissenschaftler die Reaktion der einzelnen Atomscheibchen beproben. Erst die Kombination von Scheibchen-Struktur, Verschränkung und Messung mit hoher Auflösung ermöglichte es, die Zeitdehnung so präzise zu erfassen.

Wichtiger Fortschritt auch für die Quantenphysik

Die neue Technik macht es nicht nur möglich, künftig fundamentale Vorhersagen der Relativitätstheorie noch genauer als bisher zu überprüfen. Auch quantenphysikalische Anwendungen und Experimente könnten diese Effekte nun besser erfassen und damit präziser, stabiler und aussagekräftiger werden. In der Zeitmessung ermöglichen solche optischen Gitteruhren aus verschränkten Atomen eine 50-fach präzisere Messung.

„Das wichtigste und spannende Ergebnis ist aber, dass wir nun die Quantenphysik mit der Gravitation verknüpfen könnten und so selbst komplexe Physik erforschen“, sagt Koautor Jun Ye vom JILA. „Wen wir beispielsweise „Wenn wir beispielsweise die Gravitations-Rotverschiebung nur um das Zehnfache genauer messen könnten als in unserem Experiment, könnten wir sehen, wie die atomaren Materiewellen auf die Raumzeit-Krümmung reagieren.“

Funktioniert sogar mit weniger guten Lasern

In derselben Ausgabe der „Nature“ stellt eine zweite Forschungsgruppe um Xin Zheng von der University of Wisconsin-Madison ebenfalls Fortschritte in der Zeitmessung vor. Sie haben mit einer vergleichbaren optischen Gitter-Atomuhr, aber einem weniger genauen Laser ähnliche Werte für die Zeitmessung erzielt. Sie ermittelten die Gravitations-Zeitdehnung für bis zu sechs Atomwolken, die jeweils rund einen Zentimeter voneinander entfernt waren.

Das Team erreichte dabei eine Messunsicherheit von 8,9 mal 10-20 und waren demnach etwa um das Zehnfache ungenauer als Bothwell und seine Kollegen. „Das Erstaunliche ist aber, das wir trotz des um Größenordnungen schlechteren Lasers ähnlich gute Ergebnisse erzielen konnten“, sagt Seniorautor Shimon Kolkowitz. „Das ist bedeutsam für eine Menge praktischer Anwendungen, denn unsere Laser entspricht eher dem, den man unter solchen Bedingungen zur Verfügung hätte.“ (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-021-04349-7; doi: 10.1038/s41586-021-04344-y)

Quelle: National Institute of Standards and Technology (NIST), University of Wisconsin-Madison

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