Was uns Menschen betäubt, kann anscheinend auch manche Pflanzen narkotisieren: Forscher haben den Fangmechanismus einer fleischfressenden Venusfliegenfalle mit Äther lahmgelegt. Wie sie herausfanden, unterbricht die Äthernarkose die Reizweiterleitung eines Signals, das durch Berührung der Sensorhaare auf den Fangblättern der Pflanze ausgelöst wird. Dabei zeigen sich überraschende Parallelen zu Narkosen beim Menschen.
Die fleischfressende Venusfliegenfalle wartet geduldig auf ihre Beute. Sobald sich ein Insekt auf ihre Fangblätter setzt, registriert die Pflanze diese Berührung und die Falle schnappt zu. Die Reizweiterleitung funktioniert dabei ähnlich wie beim Menschen: Rezeptoren der Sinneshaare auf der Oberfläche der Fangblätter erkennen beispielsweise einen Insektenpanzer und lösen elektrische Impulse aus. Diese Aktionspotentiale werden weitergeleitet und lösen dann eine Reaktion aus: Die Falle klappt zu. Dabei kann die Pflanze anhand der Anzahl der Berührungspunkte sogar „erfühlen„, wie üppig ihr Beutetier ist und wie viel Verdauungssekret sie produzieren muss.
Äthergas als Betäubungsmittel
Damit zeigt der Fangmechanimus dieser fleischfressenden Pflanze einige Ähnlichkeiten zum Tastsinn des Menschen. „Da lag es nahe zu testen, ob und wie sich Äther auf den Berührungssinn der fleischfressenden Pflanze auswirkt“, sagt Sönke Scherzer von der Universität Würzburg, der zusammen mit seinen Kollegen. Äther diente in der modernen Medizin als eines der ersten Betäubungsmittel, aber wird heutzutage aufgrund seiner starken Nebenwirkungen und leichten Brennbarkeit nicht mehr eingesetzt.
Für ihren Narkose-Versuch setzten die Forschenden Exemplare der Venusfliegenfalle Dionaea muscipula in speziellen Behältern dem betäubenden Äthergas aus. Dann testeten sie, ob die fleischfressende Pflanze noch auf Berührungen ihrer Fangblätter reagiert. Zudem leiteten sie das durch den Einstrom von Calcium-Ionen erzeugte elektrische Membranpotenzial ab und konnten so verfolgen, wie sich der Äther auf die Reizweiterleitung auswirkt.
Narkosegas blockiert Reizleitung
Das Ergebnis: Äther wirkt nicht nur auf Mensch und Tier betäubend, sondern offenbar auch auf die fleischfressende Pflanze. Unter dem Einfluss des Narkosegases reagierte die Venusfliegenfalle nicht mehr auf Berührungen. Ein Beuteinsekt könnte in diesem Zustand demnach ungefährdet auf ihrem Fangblatt herumspazieren, ohne den tödlichen Klappmechanismus auszulösen.
Den Grund für diese Betäubung enthüllten die Analysen der Reizleitung: Wenn sich die Pflanze in einer Ätherumgebung befindet, wird durch eine Berührung der Fangblätter zwar noch das Calcium-Signal ausgelöst, aber dieses wird nicht mehr durch Aktionspotentiale weitergeleitet. Der Reiz bleibt lokal und die Falle schnappt dadurch nicht mehr zu.
Venusfliegenfalle kann sich nicht mehr erinnern
Anscheinend verliert die Pflanze bei dieser Narkose sogar ihr Bewusstsein und damit ihre Erinnerungen. Schon zuvor war bekannt, dass die Pflanze durch das Zählen von Kontaktsignalen die Größe ihrer Beute einschätzen und die Verdauung daran anpassen kann. Dabei kann sie sich die Zahl der Berührungspunkte sogar bis zu vier Stunden lang merken – sie besitzt sozusagen ein Erinnerungsvermögen.
Doch wie Scherzer und sein Team nun herausfanden, ist diese Erinnerung unter der Narkose mit Äther blockiert. Untersuchungen des Fallen-Gedächtnisses zeigten, dass sich die Falle nicht an Berührungen während der Narkose „erinnern“ kann. Somit unterscheidet sich ihre Reaktion auf die Narkose nicht von der eines menschlichen Patienten: Die Pflanze verliert tatsächlich das Bewusstsein.
Äther wirkt am Glutamat-Rezeptor
Um nun den genauen Wirkmechanismus der Narkose zu verstehen, untersuchte das Forschungsteam die Sinneshaare der Pflanze im Detail und fand dabei heraus, dass nur die Haare von ausgewachsenen Fallen das schnelle Calcium-Signal auf Berührungen hin auslösen. Bei unreifen Fallen hingegen wird das Signal nicht ausgelöst, sie können daher auch keine Beute fangen. „Nun haben wir geschaut, wie sich diese beiden Entwicklungsstadien unterscheiden, und sind dabei auf ein interessantes Gen gestoßen, dass sich ausschließlich in den Haaren ausgewachsener Fallen findet“, erklärt Seniorautor Rainer Hedrich.
Hierbei handelt es sich um das Gen für einen Glutamatrezeptor, der offenbar für die schnelle Reizweiterleitung verantwortlich ist. Die Forschenden beobachteten bei narkotisierten Fallen und unreifen Fallen ohne den Glutamatrezeptor das gleiche Phänomen: Eine Weiterleitung des Reizes nach Stimulierung der Sinneshaare blieb aus. Somit erscheint der Glutamatrezeptor als wahrscheinliches Ziel bei einer Äther-Narkose. Wenn dieser Rezeptor blockiert wird, kommt auch die Reizweiterleitung zum Erliegen. (Scientific Reports, 2022; doi: 10.1038/s41598-022-06915-z)
Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg