Selten und doch häufig: Krankheiten von denen man noch nie etwas gehört hat, gibt es häufiger als gedacht. Eine Krankheit gilt in der Europäischen Union als selten, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Das klingt erstmal wenig, doch die Liste der seltenen Erkrankungen ist lang. Etwa 7.000 seltene Krankheiten sind bekannt, wobei regelmäßig neue Krankheitsbilder beschrieben werden.
In der Summe sind davon weltweit etwa 350 Millionen Menschen betroffen. Somit erreichen die seltenen Erkrankungen in ihrer Gesamtheit ähnlich hohe Fallzahlen wie manche Volkskrankheiten. Trotzdem werden die seltenen Krankheiten oft unterschätzt und sind zum Teil sehr wenig erforscht. Sie werden daher auch als „orphan diseases“ und die Betroffenen manchmal als „Waisenkinder der Medizin“ bezeichnet.
Irrweg durch den Ärztedschungel
Was aber bedeutet das für Menschen, deren Krankheit als selten eingestuft wird? „Keine Krankheit kann zu selten sein, um ihr Aufmerksamkeit zu schenken“, steht auf der Website des Orphanet – einem Portal, das Informationen über seltene Krankheiten bündelt. Denn umfassende Datenbanken zu diesen Krankheiten gibt es kaum, sodass die seltenen Erkrankungen von Ärzten oft nicht erkannt werden.
Zusätzlich erschwert wird die Diagnose durch die Komplexität der Symptome, welche meist mehrere Organe betreffen. So kann es im Durchschnitt fünf Jahre dauern, bis die Betroffenen die korrekten Befunde erhalten. Auf dem schwierigen Weg zur richtigen Diagnose ihrer Krankheit suchen die Patienten bis zu acht verschiedene Ärzte auf. Mindestens die Hälfte erhält dabei einmal eine Fehldiagnose, da die Symptome oft mit anderen Krankheitsbildern verwechselt werden. Außerdem werden die Patienten zum Teil nicht ernst genommen oder ihnen wird sogar vorgeworfen, sich ihre außergewöhnliche Symptomatik nur auszudenken.
Die Symptome von seltenen Erkrankungen treten oft bereits im Kindesalter auf und die ergebnislose Suche von Arzt zu Arzt ist meist eine zusätzliche seelische Belastung. „Diese Patienten haben eine wahre Odyssee quer durch unser Gesundheitssystem hinter sich“, sagt der Kardiologe Jürgen Schäfer, Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen in Marburg. „Der Leidensdruck der Betroffenen ist enorm“.
Schlechte Aussicht auf Heilung
Wenn die Erkrankten den langen Ärzte-Marathon zur Diagnose gemeistert haben, warten allerdings weitere Schwierigkeiten auf sie: Von den mehreren tausend Krankheiten mit Seltenheitsstatus sind bisher nur etwa 130 mit in der Europäischen Union zugelassenen Medikamenten behandelbar.
Für manche Krankheiten existieren demnach zwar Behandlungsmöglichkeiten, doch für die meisten Betroffenen liegen spezifische Medikamente in weiter Ferne. Dies liegt schlicht daran, dass so wenige dieser Krankheiten bisher erforscht sind. Zum einen sind die Krankheiten wenig bekannt und deswegen seltener Gegenstand einer Studie. Zum anderen sorgt die Seltenheit der Erkrankungen dafür, dass es häufig zu wenig Studienteilnehmer gibt, an denen die Krankheit erforscht werden kann.
Außerdem liegt die Medikamentenentwicklung für seltene Krankheiten oft nicht im Interesse der Pharmaunternehmen, weil sich der Aufwand von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen „nicht lohnt“. Es würde schlicht zu wenig Abnehmer für ein Arzneimittel geben. Die Behandlung der Symptome ist also oft alles was den Ärzten bleibt.