Archäologie

Herkunft der Venus von Willendorf geklärt

Material für die 30.000 Jahre alte Frauenfigur könnte von jenseits der Alpen stammen

Venus von Willendorf
Fluoreszenzaufnahmen und Mikro-CT haben die Materialstruktur der berühmten Venus von Willendorf enthüllt und bei der Herkunftsbestimmung geholfen. © Gerhard Weber/ Universität Wien

Die Venus von Willendorf ist eines der frühesten und berühmtesten Zeugnisse menschlicher Kunst. Doch woher ihr für eine solche Figur einzigartiges Gesteinsmaterial stammt, war bisher ungeklärt. Jetzt enthüllt eine Studie, dass das kalkhaltige Gestein für die Steinzeit-Venus nicht lokalen Ursprungs war, sondern von jenseits der Alpen oder sogar aus der heutigen Ostukraine stammen könnte. Schon vor 30.000 Jahren legten Menschen und Material demnach weite Entfernungen zurück.

Die 1908 in Österreich entdeckte Venus von Willendorf ist weltberühmt, gibt aber bis heute Rätsel auf. Denn ob diese 30.000 Jahre alte Skulptur einer gesichtslosen Frau mit ausgeprägten Brüsten, breiten Hüften sowie einem kunstvollen Kopfschmuck für ihre Schöpfer ein bloß schmückendes Kunstobjekt war oder ob die Venus eine kultisch-religiöse Bedeutung hatte, ist ungeklärt.

Venus
Die Venus von Willendorf ist so einzigartig wie geheimnisvoll. © NHM Wien/ Alice Schumacher

Woher kam das Material der Venus?

Ähnlich mysteriös wie die Figur, ist auch das Material, aus dem sie besteht: Während andere Venusfiguren aus der Altsteinzeit meist aus Elfenbein oder Knochen, seltener aus lokalen Gesteinen gefertigt sind, verwendete der Schöpfer der Venus von Willendorf Oolith – einen aus kleinen Kügelchen verbackenen Kalkstein. Das Merkwürdige daran: die Venus ist damit nicht nur die einzige derartige Figur aus diesem Material. Ein solcher oolithischer Kalkstein kommt auch in Willendorf und Umgebung nicht vor.

Doch woher kommt dann der Rohstoff für die Steinzeit-Figur? Um das aufzuklären, haben Gerhard Weber von der Universität Wien und seine Kollegen die Venus erstmals einer hochauflösenden Mikro-Computertomografie unterzogen. Die Aufnahmen zeigen die innere Struktur der Figur und ihres Materials dabei bis auf 11,5 Mikrometer genau – so detailliert wie nie zuvor.

Kalkstein muss von anderswo kommen

Diese innere Struktur des Kalksteins wiederum erlaubte es dem Team, nach Hinweisen auf seinen Entstehungsort zu suchen. „Durch die unterschiedliche Größe der Kalkkügelchen und den unterschiedlichen Anteil an Fossilien ist jeder Stein einzigartig“, erklärt Koautor Alexander Lukeneder vom Naturhistorischen Museum Wien. Deshalb sammelten die Forschenden Vergleichsproben aus Oolith-Vorkommen in ganz Europa und verglichen deren Struktur mit der der Venus.

Das überraschende Ergebnis: Im Umkreis von 200 Kilometern um Willendorf gibt es keine Oolith-Vorkommen, die auch nur annähernd zum Venus-Material passen. „Damit können wir diesen Ort als Quelle des Materials ausschließen“, so das Team. Die Entdeckung einer winzigen Muschelschale, die im Kalkstein eingebettet war, erlaubte zudem eine Datierung des Kalksteins: Er wurde bereits vor rund 150 Millionen Jahren, im Zeitalter des Jura, abgelagert und auch dies engt die in Frage kommenden Ursprungsorte weiter ein.

Übereinstimmung mit Oolith aus Norditalien

Bei einer Vergleichsprobe wurde das Team fündig: Eine Kalksteinprobe aus der Nähe des Gardasees war bis in die Feinstruktur hinein nahezu identisch. Das könnte bedeuten, dass das Material für die berühmte Steinzeit-Venus vor 30.000 Jahren über die Alpen und über die Donau gebracht wurde. Das wirft ein ganz neues Licht auf die Mobilität der frühen Vertreter des Homo sapiens südlich und nördlich der Alpen, wie Weber und seine Kollegen erklären.

Die altsteinzeitlichen Menschen müssten demnach je nach Route 700 bis gut 900 Kilometer zurückgelegt haben. „Die Menschen im Gravettian haben günstige Standorte gesucht und bewohnt. Wenn sich das Klima oder die Beutetier-Situation geändert haben, sind sie weitergezogen, vorzugsweise entlang von Flüssen“, erklärt Weber. Eine solche Reise konnte sich dabei durchaus über Generationen erstrecken. Auch der Kalkstein für die Venus von Willendorf könnte so von Norditalien bis in die österreichische Wachau gelangt sein.

Oder gab es Verbindungen in die Ukraine?

Interessant auch: Unter den Vergleichsproben fiel noch ein zweiter Standort durch relativ große Ähnlichkeit zum Venus-Oolith auf: Ein Oolith-Vorkommen in der Ostukraine, mehr als 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt, stimmte in vielen Merkmalen ebenfalls mit der Venus überein. Zwar passt die Zusammensetzung der ukrainischen Oolithe nicht in allen Details so gut wie die italienischen Proben, wie das Team berichtet.

Dafür gibt es aber eine mögliche kulturelle Verbindung: In der Ukraine und in Russland wurden bereits steinzeitliche Frauenfiguren gefunden, die der Venus von Willendorf erstaunlich ähnlich sind. Frühere Studien haben zudem Gemeinsamkeiten bei den Werkzeugtypen und in der Bearbeitung zwischen dem Alpenraum und Osteuropa in dieser Zeit nahelegt. „Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Material oder die fertige Figur ursprünglich aus der Ostukraine kam, wenngleich dies weniger wahrscheinlich ist als die Verbindung nach Norditalien“, schreiben Weber und seine Kollegen.

In jedem Falle legen die Ergebnisse nahe, dass die Menschen schon vor 30.000 Jahre eine große Mobilität besaßen und dass es Bewegungen von Mensch und Material über hunderte Kilometer hinweg gab. (Scientific Reports, 2022; doi: 10.1038/s41598-022-06799-z)

Quelle: Universität Wien, Naturhistorisches Museum Wien

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