Astronomie

Zeitreise in die Frühzeit unserer Milchstraße

Astronomen präzisieren zeitlichen Verlauf der galaktischen Frühgeschichte

Milchstraße
Welche Ereignisse die Entwicklung der Milchstraße geprägt haben und wann, haben Astronomen nun genauer bestimmt. © Stefan Payne-Wardenaar / MPI für Astronomie

Turbulente Jugend: Astronomen haben wichtige Meilensteine in der Frühgeschichte der Milchstraße erstmals genauer datiert. Demnach bildete sich der älteste Teil der Sternenscheibe schon vor rund 13 Milliarden Jahren – nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall. Vor gut elf Milliarden Jahren – früher als bisher gedacht – erlebte unsere Galaxie dann ihre schlimmste Kollision. Dieses Ereignis bescherte ihr einen Schub der Sternbildung und füllte den galaktischen Halo auf, wie die Forscher in „Nature“ berichten.

Unsere Milchstraße hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Immer wieder kollidierte sie mit kleineren Nachbargalaxien oder zog bei nahen Passagen ganze Zwerggalaxien, Sternenströme und Sternhaufen an sich. Einer Studie aus dem Jahr 2020 zufolge hat unsere Heimatgalaxie in ihrer Milliarden Jahre langen Geschichte zehn kleinere und fünf große Verschmelzungen durchlebt. Zusammen trugen sie dazu bei, galaktische Strukturen wie den zentralen Bulge, die Sternenscheibe oder den Halo zu formen.

GAlaxienstruktur
Grobstruktur der Milchstraße. © Stefan Payne-Wardenaar / MPI für Astronomie

Stellare Unterriesen als Datierungshelfer

Doch wann genau die verschiedenen Komponenten der Milchstraße entstanden, ließ sich bislang nur grob klären. „Um die Entwicklungsgeschichte unserer Galaxie zu entwirren, müssen wir wissen, wie viele Sterne wann, aus welchem Material und in welchen Orbits geboren wurden“, erklären Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Dafür jedoch muss man das Alter von Sternen in verschiedenen Bereichen der Milchstraße genau bestimmen können.

Möglich ist dies mithilfe von stellaren Unterriesen – Sternen, die sich in der nur wenige Millionen Jahre dauernden Übergangsphase vom Hauptreihenstern zum Roten Riesen befinden. Weil ihr Wasserstoffvorrat im Kern verbraucht ist, ist der Kern dieser Sterne geschrumpft und die Kernfusion in der umgebenden Schale hat eingesetzt. Das Entscheidende jedoch: Das Alter solcher Unterriesen lässt sich direkt aus ihrer Oberflächentemperatur und Helligkeit erschließen. „Das macht Unterriesen zu wertvollen Datierungshelfern für die galaktische Archäologie“, erklären Xiang und Rix.

Für ihre Studie haben Xiang und Rix nun Daten des Gaia-Sternekatalogs und des LAMOST-Survey, einer Spektralanalyse von rund neun Millionen Sternen, ausgewertet, um unter den unzähligen Sternen der Milchstraße die kurzlebigen Unterriesen aufzuspüren. Für 250.000 solcher Sterne ermittelten die Forscher so genaue Daten zu Alter, Position und chemischer Zusammensetzung.

Anfänge schon 800 Millionen Jahre nach dem Urknall

Den beiden Astronomen gelang es damit erstmals, wichtige Phasen der Galaxiengeschichte genauer zu datieren. Die erste Erkenntnis daraus: Die Anfänge unserer Heimatgalaxie reichen bis weit in die Frühzeit des Kosmos zurück. Denn die Unterriesen in ihrem ältesten Teil, der sogenannten dicken Scheibe, sind bis zu 13 Milliarden Jahre alt. Die 100.000 Lichtjahre große und 500 Lichtjahre dicke Hauptscheibe der Milchstraße entstand demnach nur rund 800 Millionen Jahre nach dem Urknall.

Wenig später begann sich dann der galaktische Halo zu bilden – die ausgedehnte, kugelförmige Hülle aus Gas, Kugelsternhaufen und Dunkler Materie, die die Sternenscheibe umgibt. Der neuen Datierung zufolge entstand der innere Teil dieses Halo schon kurz nach der dicken Scheibe und die Bildung war vor rund elf Milliarden Jahren weitgehend abgeschlossen.

Die schlimmste Kollision

Doch dann folgte der turbulenteste Teil der Milchstraßen-Entwicklung: Vor rund 11,2 Milliarden Jahren durchlebte die noch junge Galaxie einen drastischen Wandel, in dessen Verlauf plötzlich viele Sterne ihren Bahnen änderten, wie die Astronomen berichten. Außerdem begann ein auffälliges „Produktionsmaximum“ bei der Sternentstehung – überall in der Galaxie wurden Unmengen neuer Sterne gebildet. Beides zusammen deutet darauf hin, dass die Milchstraße zu dieser Zeit dramatische Turbulenzen erfuhr.

Der Grund dafür: Ziemlich genau zu dieser Zeit muss sich die heftigste Kollision in der Geschichte unserer Heimatgalaxie ereignet haben: Die Milchstraße stieß mit der nur wenig kleineren Galaxie Gaia-Enceladus zusammen. Dieses Ereignis zerriss die rund zehn Milliarden Sonnenmassen schwere Nachbargalaxie und veränderte auch die Form und Struktur der Milchstraße nachhaltig – der zentrale Bulge bildete sich und der Halo wuchs.

Bisher hatten Astronomen diese Verschmelzung auf eine Zeit vor rund zehn Milliarden Jahren datiert, wie Xiang und Rix erklären. Ihre Daten verlagern dieses Ereignis nun aber um rund eine Milliarde Jahre in die Vergangenheit – in die Zeit, in der auch die Sternbildung abrupt zunahm. Die Schockwellen der Kollision ließen demnach vermehrt Gaswolken kollabieren und dadurch neue Sterne entstehen.

Ruhige Spätphase

Vor acht Milliarden Jahren endeten dann die turbulenten und produktiven „Teenagerjahre“ der Milchstraße. Der größte Teil des in interstellaren Wasserstoffgases in der dicken Scheibe war verbraucht, so dass dort nur noch wenige neue Sterne entstanden. Weil aber immer noch gewisse Mengen an frischem Gas aus dem intergalaktischen Raum heranströmten, blieb die Sternbildung in einem Teil, der galaktischen Scheibe länger aktiv – die dünne Scheibe bildete sich.

Mit der Entwicklung dieser Struktur begann nun die lange, ruhige Reifephase unserer Heimatgalaxie. Weil die Milchstraße seither keine größeren Kollisionen mehr durchlaufen hat, ist ihre Struktur bis heute weitgehend unverändert geblieben. Damit entspricht die Entwicklung der Milchstraße dem, was auch Modelle für Galaxien vorhersagen: eine produktive Frühphase, gefolgt von einer ruhigen, wenig gestörten Spätperiode. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-04496-5)

Quelle: Max-Plank-Institut für Astronomie

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