Giganten der Urmeere: In den Schweizer Alpen haben Paläontologen die Fossilien von drei riesenhaften Ichthyosauriern entdeckt. Der größte dieser Meeressaurier war gut 20 Meter lang und wog 80 Tonnen – er gehörte damit zu den größten Tieren der Erdgeschichte. Ebenfalls rekordträchtig ist der größte je gefundene Zahn eines solchen Meeres-Reptils. Alle drei Riesen-Ichtyosaurier lebten vor rund 205 Millionen Jahren, als der Alpenraum noch von einem flachen Meer bedeckt war.
Die Ichthyosaurier waren im Jura und in der Kreidezeit die Herrscher der Meere. Die wahrscheinlich schon warmblütigen und lebendgebärenden Meeresreptilien waren wendige Schwimmer und erfolgreiche Jäger. Ihren Siegeszug begannen die vor rund 250 Millionen Jahren entstandenen Meeressaurier zunächst mit kleineren Formen, die sich dann zum Ende der Trias vor rund 205 Millionen Jahren zu riesenhaften Spezies mit gut 20 Meter Länge entwickelten.
„Es gab in der Erdgeschichte nur drei Tiergruppen, die ein Körpergewicht von mehr als zehn bis 20 Tonnen auf die Waage brachten: langhalsige Dinosaurier aus der Gruppe der Sauropoden, Wale und die gigantischen Ichthyosaurier der Trias“, erklärt Erstautor Martin Sander von der Universität Bonn.
Fossilfunde auf 2.800 Meter Höhe
Eines der größten Exemplare dieser Riesen-Meeressaurier und zwei weitere, wenig kleinere Spezies haben Sander und seine Kollegen nun identifiziert. Die 205 Millionen Jahre alten Fossilien stammen aus den Schweizer Alpen im Kanton Graubünden, wo sie bereits vor mehr als 30 Jahren von Paläontologen der Universität Zürich auf bis zu 2.800 Meter Höhe entdeckt worden waren. Seither lagen die Funde – mehrere Wirbelknochen, Rippenfragmente und ein Zahn – weitgehend unbeachtet im Archiv.
Erst jetzt haben sich die Paläontologen um Sander dieser Funde wieder angenommen – mit spektakulären Ergebnissen. Denn ihre Analysen ergaben, dass eines der Exemplare, von dem ein Rückenwirbel und mehrere Rippenstücke erhalten blieben, ein wahrer Gigant gewesen sein muss. Dafür spricht unter anderem die Größe des leicht verformten Wirbelknochens, der gut 26 Zentimeter breit und rund 24 Zentimeter hoch war.
Gigant des Urmeeres
„Damit könnte dieses Tier genauso groß oder nur wenig kleiner gewesen sein wie der Holotyp von Shastasaurus sikkanniensis“, so das Team. Dieses Shastasaurus-Exemplar aus Kanada gilt mit 21 Meter Körperlänge bisher als der größte eindeutig bestimmte Ichthyosaurier weltweit. Das neue Meeressaurier-Fossil aus den Alpen könnte ebenfalls mehr als 20 Meter lang gewesen sein und wog möglicherweise rund 80 Tonnen.
Der neue Fund erweitert damit das Verbreitungsgebiet der Riesen-Ichthyosaurier. Denn bisher wurden Fossilien dieser Tiere nur in Kanada, im Himalayagebiet und im Südpazifkraum gefunden. Das Fossil aus den Schweizer Alpen belegt nun, dass die Giganten der späten Triasmeere auch im Tethysmeer vorkamen – dem flachen Meeresarm, der vor rund 200 Millionen Jahren Europa von Afrika trennte und damit eine Art Vorläufer des Mittelmeeres darstellte.
„Wir vermuten, dass diese großen Ichthyosaurier vielleicht Fischschwärmen bis in die Lagunen folgten“, erklärt Koautor Heinz Furrer von der Universität Zürich, der damals einige der Fossilien in den Alpen entdeckt hat.
Größter Zahn eines Ichthyosauriers
Ebenfalls spektakulär ist das einzige Relikt eines zweiten Ichthyosaurier-Exemplares: ein riesiger Zahn. „Er ist für Fischsaurier-Verhältnisse riesig: Seine Wurzel hatte einen Durchmesser von 60 Millimetern – das bislang größte noch in einem vollständigen Schädel steckende Exemplar lag bei 20 Millimetern und stammt von einem Ichthyosaurier, der fast 18 Meter lang war.“ Dieser einzige andere Zahn eines spättriassischen Ichthyosauriers stammt von dem in Asien entdeckten Himalayasaurus.
Der Ichthyosaurier-Zahn aus den Schweizer Alpen ist damit erst der zweite Zahn einer solchen Meeresechse und gleichzeitig der mit Abstand größte. Das wirft die Frage auf, wie groß das Tier war, zu dem dieser Zahn einst gehörte. „Aus dem Zahndurchmesser lässt sich nicht direkt auf die Länge seines Besitzers schließen“, erklärt Sander. „Es ist schwer zu sagen, ob dieser Zahn von einem großen Ichthyosaurier mit riesigen Zähnen stammte oder aber von einem gigantischen Ichthyosaurier mit normalgroßen Zähnen.“ Wäre letzteres der Fall, müsste das Tier größer gewesen sein als jeder andere bekannte Meeressaurier.
Neuer Blick auf Fressverhalten der Riesen-Meeressaurier
Der fossile Zahn wirft auch ein neues Licht auf die bisher weitgehend unbekannte Fressgewohnheiten dieser gigantischen Meeresechsen. Bisher gingen Paläontologen davon aus, dass die kleineren Ichthyosaurer des Jura und der Kreidezeit zwar Zähne besaßen, ihre riesenhaften Vorgänger vom Ende der Trias aber eher nicht. Ähnlich wie viele Wale könnten sie ihre Beute mitsamt des umgebenden Wassers eingesaugt haben.
Doch wie der Fund des Zahns nun belegt, galt dies offenbar nicht für alle Riesen-Ichthyosaurier. Zusammen mit dem Himalayasaurus sind es nun schon zwei Spezies dieser Meeressaurier, die riesengroß waren und trotzdem Zähne besaßen. „Sie bevölkerten die Meere als Makroprädatoren und koexistierten mit den zahnlosen Giganten“, so die Paläontologen.
Jungtier oder kleinere Art?
Und noch ein drittes Ichthyosaurier-Fossil aus den Schweizer Alpen haben die Forschenden identifiziert. Dieses durch mehrere Rückenwirbel repräsentierte Exemplar war vermutlich rund 15 Meter lang und ähnelte in einigen Merkmalen dem größten der drei Meeressaurier. Bisher können die Paläontologen allerdings noch nicht eindeutig sagen, ob es sich um ein Jungtier dieser Spezies handelt oder um eine eigene Art.
Zusammen liefern die neuen Ichthyosaurier-Fossilien wertvolle Einblicke in die Biologie und Entwicklung dieser riesenhaften Meeresechsen, über die bisher kaum etwas bekannt ist: „Es ist fast schon peinlich für die Paläontologie, dass wir über die Riesen-Ichthyosaurier abgesehen von ihrer außergewöhnlichen Größe so wenig wissen“, sagt Sander. „Wir hoffen aber, dass wir bald weitere, bessere Fossilien finden werden.“ (Journal of Vertebrate Paleontology, 2022; doi: 10.1080/02724634.2021.2046017)
Quelle: Taylor & Francis Group, Universität Bonn