Geheimnisvolle Töne: Streicht man mit dem Bogen über eine gebogene Säge, gibt sie geisterhafte Töne von sich. Was physikalisch hinter solchen singenden Sägen steckt, haben nun Forscher aufgeklärt. Demnach sorgt ein geometrisch-topologischer Effekt dafür, dass die Schwingungen des Sägeblatts lokal nur an einer Stelle konzentriert bleiben. Die Formel hinter diesem Effekt könnte dazu beitragen, künftig auch quantenphysikalische Oszillatoren zu optimieren, wie das Team berichtet.
Der geisterhafte, aber klare Klang einer „singenden Säge“ sorgt schon seit mehr als hundert Jahren für Faszination. Denn das dünne, metallische Sägeblatt schwingt beim Darüberstreichen mit einem Bogen auf eine ganz spezielle Weise. Der Vorgang erzeugt einen klaren Ton, dessen Höhe durch schwächeres oder stärkeres Verbiegen des Sägeblatts verändert werden kann.
S-Form erzeugt den „Sweet Spot“
Was aber steckt dahinter? Klar ist, dass die Säge nur dann singt, wenn man das Sägeblatt auf bestimmte Weise krümmt. Bleibt es gerade, entsteht nur ein dumpfes, schnell verfliegendes Geräusch. Verbiegt man es in nur eine Richtung wie ein „J“, geschieht Ähnliches. Wenn man jedoch die Säge in eine S-Form biegt, erzeugt sie beim Darüberstreichen mit einem Bogen einen klaren, langanhaltenden Ton.
„Diese geometrische Transformation ist Musikern wohlbekannt, die den Umkehrpunkt dieser Kurve auch als ‚Sweet Spot‘ bezeichnen“, erklären Petur Bryde von der Harvard University und seine Kollegen. „Wenn man den Bogen in der Nähe dieses Punktes über die Säge streicht, sind die Töne am klarsten.“ Frühere Studien haten bereits gezeigt, dass an dieser Stelle lokalisierte Vibrationen auftreten. Wie diese sogenannten Eigenmodi physikalisch entstehen und wie die verschiedenen Beugungsformen der Säge sie beeinflussen, haben die Forscher nun untersucht.
Mathematische Ähnlichkeit mit einem topologischen Isolator
Die Analysen enthüllen, dass die physikalischen Vorgänge beim Singen der Säge überraschende Ähnlichkeit mit Zuständen eines völlig anderen physikalischen Systems aufweisen: einem topologischen Isolator. Dabei handelt es sich um ein feste Materialien, die in ihrem Innern nichtleitend sind, aber an ihrer Oberfläche sogar eine widerstandsfreie Bewegung von Elektronen erlauben.
„Wir haben eine mathematische Analogie zwischen der Akustik der gebogenen Metallblätter und diesen quantenelektronischen Systemen gefunden“, sagt Brydes Kollege Suraj Shankar. Demnach lassen sich auch die lokalisierten Schwingungen der Säge durch topologische Parameter beschreiben. „Die S-Kurve in dem dünnen Blatt kann topologisch-geschützte Modi am Sweet Spot erzeugen, die den exotischen Zuständen im Topologischen Isolator sehr ähnlich sind“, so Shankar.
Material und Größe egal
Was aber bedeutet dies praktisch? Zum einen ergaben die Berechnungen, dass das Phänomen des Singens durch lokalisierte Vibrationen materialunabhängig ist: „Es kann in Stahl, Glas oder auch Graphen auftreten“, sagt Bryde. Wichtig ist nur, dass das Material in einer S-Form gekrümmt wird. Dabei spielt selbst die Geometrie dieser Krümmung offenbar nur eine untergeordnete Rolle: Die Säge singt, wenn sie ein symmetrisches S bildet, aber auch, wenn das S oben eine große und unten nur eine kleine Kurve aufweist.
Zum anderen ermöglicht die physikalische Beschreibung des Effekts es nun, nicht nur Sägen zum Singen zu bringen, sondern auch andere Objekte mit diesen speziellen Schwingungseigenheiten zu konstruieren. „Unser mathematischer Ausdruck erklärt, wie und warum dieser Effekt bei jeder geometrischen Formvariante entsteht“, sagt Seniorautor L. Mahadevan. „Unsere Forschung liefert damit ein robustes Prinzip, nach dem man unabhängig von Material und Größe qualitativ hochwertige Resonatoren designen kann.“
Vielseitige Anwendungen
Die Spanne der Anwendungen reicht dabei vom makroskopischen Musikinstrument bis zu Mikroresonatoren im Nanomaßstab – beispielsweise für Quantensensoren. „Entscheidend ist nur die richtige Kombination von Geometrie und Topologie“, so Mahadevan. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2022; doi: 10.1073/pnas.2117241119)
Quelle: Harvard School of Engineering and Applied Sciences