Astronomie

Vierfach-Sternsystem auf Kollisionskurs

Doppelte Doppelsternsysteme könnte einen Teil der Typ-1-Supernovae im All erklären

Vierfach-Sternsystem
Vierfach-Sternsysteme wie dieses sind selten. Jetzt haben Astronomen das jüngste und eines der engsten dieser Art entdeckt. © Podbregar/scinexx

Doppelsterne im Zweierpack: Astronomen haben eines der jüngsten und engsten Vierfach-Sternsysteme entdeckt. In ihm umkreist ein äußeres Sternenpaar ein inneres Paar mit einer Umlaufzeit von nur 5,7 Jahren. Dadurch kommt es zu Schwerkraft-Wechselwirkungen, die die Umlaufbahnen der Sternenpaare immer exzentrischer macht. Das könnte auf lange Sicht zu einer Massenkarambolage im System führen – und zu Supernovae, wie das Entdeckerteam berichtet.

Die meisten Sterne im All sind keine Einzelgänger, sondern Teil eines Mehrfachsternsystems. Am häufigsten sind dabei Doppelsterne, die Zweier-Kombination gilt als besonders stabil. Aber auch Dreifachsysteme wurden schon häufiger beobachtet. Deutlich seltener sind dagegen Kombinationen mehrerer stellarer Duos oder Trios zu Vierfach-, Fünffach- oder sogar Sechsfach-Sternsystemen.

HD74438
Bahnen der Sterne bei HD74438. © University of Canterbury

Zwei umeinander kreisende Paare

Eines der seltenen Vierfach-Sternsysteme haben Astronomen um Thibault Merle von der Freien Universität Brüssel näher untersucht. Das System HD74438 liegt rund 475 Lichtjahre entfernt und galt seit seiner Entdeckung im Jahr 2017 als Kandidat für ein Sternenquartett. Um dies zu überprüfen, werteten die Forscher Beobachtungdaten der Gaia-Himmelsdurchmusterung sowie hochauflösende Spektrographen-Daten zweier Teleskope in Neuseeland und Südafrika aus. Durch diese konnten sie die Umlaufbahnen und Merkmale der Sterne erstmals näher bestimmen.

Das Ergebnis: HD74438 ist tatsächlich ein Viersystem – es besteht aus zwei einander umkreisenden Doppelsternen. Das innere Paar besteht aus massereichen Sternen, die einander in 20,4 Tagen umkreisen. Das äußere, masseärmere Paar benötigt sogar nur gut vier Tage für einen gegenseigen Umlauf. Beide Paare umkreisen sich gegenseitig im Laufe von knapp sechs Jahren. Damit entspricht HD74438 einer klassischen 2+2-Konfiguration.

Stellare Wechselwirkungen

Doch das Vierfach-System hat einige Besonderheiten. Das in einem jungen offenen Sternenhaufen liegende Quartett ist erst 43 Millionen Jahre alt und damit das jüngste bekannte Vierfach-System, wie die Astronomen berichten. Ebenfalls ungewöhnlich ist der geringe Abstand zwischen den beiden Sternenpaaren und ihre damit kurze äußere Umlaufzeit: „HD74438 gehört zu den Vierfach-Sternsystemen mit der kürzesten äußeren Periode“, so das Team. „Solche System sind in offenen Sternehaufen sehr ungewöhnlich.“

Das hat Folgen: Weil sich beide Doppelsterne so nahe sind, beeinflussen sie sich gegenseitig durch ihre Schwerkraft. „Jedes Paar agiert dabei als ferner Störer des anderen Paares“, erklären Merle und seine Kollegen. Das führt dazu, dass sich die Neigung und Formen ihrer Orbits im Laufe der Zeit verändern. Dabei werden vor allem die Umlaufbahnen der Sterne innerhalb der Paare immer exzentrischer. Tatsächlich ist dies schon jetzt am leichteren der beiden Sternenpaare zu beobachten: Obwohl die Orbits beider Sterne eigentlich kreisförmig sein müssten, sind sie bereits leicht elliptisch.

Risiko für eine Kollision bei 50:50

Was aber bedeutet dies für die Zukunft des Vierfach-Systems? Den Astronomen zufolge kann sich die gegenseitige Auslenkung soweit aufschaukeln, dass die Orbits innerhalb der Doppelsternen enger und immer exzentrischer werden. Im Extremfall kommt es dadurch zur Kollision und Verschmelzung der beiden stellaren Partner. Bei HD74438 liegt das Risiko einer solchen Karambolage bei immerhin 50:50, wie eine astrophysikalische Simulation ergab. Eine solche Kollision kann sich noch während der Lebenszeit der Sterne ereignen, aber auch nach ihrem Kollaps zum Weißen Zwerg.

Wenn jedoch zwei solcher Sternenreste verschmelzen, kann dies eine weitere Katastrophe auslösen – eine Supernova des Typs 1a. Sie ereignet sich, wenn ein weißer Zwerg die Massenobergrenze – das sogenannte Chandrasekhar-Limit – überschreitet, dadurch instabil wird und explodiert. Bisher haben Astronomen solche Supernovae meist dann beobachtet, wenn ein Weißer Zwerg einem jüngeren Partnerstern Material absaugt und sich „überfrisst“.

Kandidaten für eine Typ-1a-Supernova?

Doch die Häufigkeit solcher kannibalischer Paare reicht eigentlich nicht aus, um alle im Kosmos beobachteten Supernovae des Typs 1a zu erklären. Astronomen suchen daher schon länger nach anderen Prozessen, durch die Weiße Zwerge explodieren können. Merle und seine Kollegen sehen Mehrfachsternsysteme wie das stellare Quartett HD74438 als mögliche Kandidaten: Wenn dort durch die Schwerkraft-Wechselwirkungen Weiße Zwerge zur Kollision gebracht werden, dann kann dies zu einer Supernova-Explosion führen – und dies selbst dann, wenn das Massenlimit noch nicht erreicht ist.

„Kürzlich wurde gezeigt, dass zwischen 70 und 85 Prozent aller Typ-1a-Supernovae auf Verschmelzungen zurückgehen könnten, bei denen es dann zur Explosion von Weißen Zwergen unterhalb des Chandrasekhar-Limits kommt“, erklären die Astronomen. Vierfach-Sternsysteme wie HD74438 seien vielversprechende Kandidaten für eine solchen Weg zur thermonuklearen Explosion. (Nature Astronomy, 2022; doi: 10.1038/s41550-022-01664-5)

Quelle: University of Canterbury

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