Für Leibniz prägend wird insbesondere ein Aufenthalt in Paris, das zu dieser Zeit als wissenschaftliches und intellektuelles Zentrum Europas gilt. Dorthin wird er nach zwei Jahren am Hofe des Kurfürsten von Mainz gesandt, um den Sonnenkönig Ludwig XIV. von einem Krieg abzuhalten, der sich in ganz Europa ausbreiten könnte.
Dies gelingt Leibniz zwar nicht, die vier Jahre in Paris werden aber zu den fruchtbarsten und erfolgreichsten des großen Denkers zählen. Hier trifft er mit internationalen Gelehrten zusammen, gewinnt Zugang zu wissenschaftlichen Zirkeln und erfährt vom aktuellsten Kenntnisstand der Wissenschaft in all ihren Bereichen. Er kann über den Tellerrand seines bisherigen Universitätswissens blicken und an aktueller Forschung teilhaben.
Rechnen mit Nullen und Einsen
In Paris widmet sich Leibniz auch seiner Leidenschaft für Zahlen und entwickelt ein bis heute höchst relevantes mathematisches System: die Dyadik oder auch das binäre Zahlensystem. Dieses besteht nur aus zwei Ziffern, der Null für das Nichts und der Eins für Gott, so Leibniz, da dieser alles aus dem Nichts erschaffen hat.
Mit diesen beiden Ziffern lässt sich nun jede beliebige Zahl darstellen. Die Zahl sieben, der letzte Tag der Schöpfung, entspricht im binären Code der Zahlenfolge 111, in der Leibniz die Dreifaltigkeit Gottes erkennt. Leibniz sieht in dem binären System aber auch „das Grundlegendste der Wissenschaft“ und zeigt, dass sich mit binären Zahlen genauso rechnen lässt wie mit Zahlen unseres Dezimalsystems.
Für elektronische Rechner heutzutage bildet das Binärsystem die Basis. Das binäre System eignet sich besonders, da es klar auf zwei Zustände begrenzt ist. Es kann in „An“ und „Aus“, „Strom fließt“ und „fließt nicht“ oder in „wahr“ und „falsch“ unterschieden werden. So können Algorithmen Informationen durch binäre Zahlen codieren – ohne diese gäbe es heute wohl keine Computer.
Ein Urahn des Computers
Zusammen mit der Dyadik erfindet Leibniz in Paris auch eine erste mechanische Rechenmaschine, die alle vier Grundrechenarten beherrscht, und legt so einen frühen Grundstein für die spätere Entwicklung des Computers. Mithilfe der von ihm erfundenen Staffelwalze, die bis heute Bestandteil von mechanischen Rechenmaschinen ist, können Zahnräder so bewegt werden, dass je nach Laufrichtung eine Addition oder Subtraktion stattfindet, deren Ergebnis dann auf kleinen Scheiben abgelesen werden kann. Multiplikationen werden als mehrere Additionen, Divisionen durch mehrere Subtraktionen durchgeführt.
Dieser erste „Rechner“ kann allerdings nur in unserem Dezimalsystem und nicht wie heutige elektronische Rechner im binären System arbeiten. Trotz Vorschlägen und Skizzen von Leibniz scheitert es hier noch an der feinmechanischen Umsetzung.
Durchbruch in der höheren Mathematik
Nach knapp einem Jahr in Paris reist der Universalgelehrte für einen kurzen Aufenthalt nach London, das sich zu dieser Zeit als intellektuelle Stadt durchaus mit Paris messen kann. Hier stellt er der Royal Society einen Prototyp seiner Rechenmaschine vor und wird kaum drei Monate später in die Gesellschaft aufgenommen. Auch erfährt er dort durch Wissenschaftler um Isaac Newton von neuesten Erkenntnissen im Bereich der Physik und Mathematik.
Zurück in Paris gelingt es Leibniz die mathematischen Überlegungen zu vertiefen und entwickelt, zeitgleich mit Newton, aber unabhängig von diesem, zwei Jahre später die Infinitesimalrechnung. Es ist sein mathematisch wahrscheinlich bedeutendster Durchbruch. Mithilfe der nun möglichen Differential- und Integralrechnung lassen sich erstmals die Steigung von Kurven sowie Inhalte krummlinig begrenzter Flächen berechnen. Diese Grundlagen der höheren Mathematik sind bis heute fester Bestandteil eines jeden Matheunterrichts.
Ein Jahr später muss Leibniz aus finanziellen Gründen Paris verlassen, denn sowohl sein Gönner Boineburg als auch der Kurfürst von Mainz versterben kurz nacheinander. Leibniz muss sich nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen und gelangt so als Hofrat und Bibliothekar in den Dienst des Herzogs Johann Friedrich nach Hannover, seinem Lebensmittelpunkt für die nächsten 40 Jahre.
Ingenieurskunst trotz Widerständen
Sein neuer Arbeitgeber ermöglicht es Leibniz zunächst noch seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten nachzugehen. So entwickelt der Universalgelehrte Pläne für ein erstes U-Boot, das Prinzip des Dübels, einem Gerät zur Messung der Windgeschwindigkeit und vieles mehr, die zuerst jedoch wenig Beachtung finden.
Dann aber darf Leibniz Ideen zur Innovation des Bergbaus im Harz praktisch umsetzen. Mit der „Horizontalwindkunst“ wird er zum Pionier der Windkraft, die er zum Antrieb von Pumpen nutzt, um die Stollen zu entwässern. Dabei pumpt er das Wasser in höher gelegene Seen, um die Wasserkraft wieder zu verwenden. Ein Prinzip, nach dem noch heute Pumpspeicherkraftwerke arbeiten. Auch die rundlaufende Endloskette, die er zur Erzbeförderung entwickelt, findet heute vielfältige Anwendung.
Leibniz scheitert jedoch an der langfristigen Umsetzung seiner Erfindungen, da sich ihm Geldmangel, wenig geeignete Materialien und traditionsverhaftete Bergleute in den Weg stellen. Als dann sein Arbeitgeber Herzog Johann Friedrich stirbt, werden unter dessen Nachfolger Leibniz‘ wissenschaftliche Tätigkeiten vollständig eingeschränkt. Herzog Ernst August hat wenig Verständnis für Leibniz Interessen und so muss dieser seine Versuche im Harz schließlich abbrechen.