Medizin

Affenpocken: „Mit ständig mutierenden Varianten ist nicht zu rechnen”

Interview mit dem deutschen Virologen und Pockenforscher Gerd Sutter

Affenpockenvirus
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Affenpockenviren. © NIAID

Die aktuellen Ausbrüche von Affenpocken in vielen Ländern der Welt haben selbst Epidemiologen überrascht. Denn nie zuvor gab es so viele Infektionsfälle außerhalb Afrikas. Was das bedeutet, ob wir uns Sorgen machen müssen und welche Gegenmittel es gibt, erklärt der Virologe und Pockenforscher Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Zurzeit gibt es bereits mehr als 250 Fälle von Affenpocken weltweit – Tendenz weiter steigend. Ungewöhnlich ist dies deshalb, weil das in West- und Zentralafrika endemische Affenpockenvirus eigentlich nur schwer zwischen Menschen übertragbar ist. Infektionen kamen bislang daher fast nur in Afrika selbst oder bei Reisenden aus dem Endemiegebiet vor. Warum es zurzeit zu so vielen Ausbruchsherden weltweit kommt, ist noch unklar.

Gerd Sutter
Der Virologe Gerd Sutter © LMU

Der Virologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München erforscht neue Impfstoffe sowie die globale Verbreitung bisher unbekannter Erreger – und gilt als einer der führenden Pockenvirologen Deutschlands. Er beantwortet Fragen zu den aktuellen Affenpocken-Ausbrüchen.

Herr Prof. Sutter, ein neues Virus, das vom Tier auf den Menschen überspringt, die ersten Fälle in Europa. Stehen wir am Beginn einer Affenpocken-Epidemie?

Gerd Sutter: Nein, die Gefahr einer größeren Epidemie in Deutschland beziehungsweise Europa schätze ich als gering ein. Den Prozess, dass das Affenpockenvirus durch Reisende aus Afrika nach Europa importiert wird, gibt es – schleichend – bereits seit Jahren, parallel zu einem ebenfalls schleichenden Ausbruch in Nigeria. Vereinzelt brachten Reisende den Erreger in den vergangenen Jahren bereits in die USA, nach Israel, Singapur und Europa – hier vorwiegend ins Vereinigte Königreich. Völlig neu ist dagegen, dass es jetzt eine gewisse Ausbreitung in Europa gibt – und das muss natürlich beobachtet werden.

Was sind Unterschiede zur SARS-CoV-2-Pandemie?

Es gibt fundamentale Unterschiede zur Coronapandemie: Damals handelte es sich um einen völlig neuen Erreger und man wusste nichts über seine Biologie. Über das Affenpockenvirus dagegen wissen wir bereits viel mehr, und das seit Jahren: Affenpockenviren gehören zur Gruppe der Orthopockenviren, von denen wir wissen, dass sie verschiedene Wirte befallen können.

Wir wissen auch, dass die Übertragung über direkten Kontakt und insbesondere über die hochinfektiösen Läsionen stattfindet. Eine Übertragung durch Tröpfchen oder Aerosole spielt eine höchstens untergeordnete Rolle. Übertragungen der Affenpocken sind daher im Vergleich zu Infektionen mit COVID-19- oder Influenza-Viren relativ ineffizient und führen – bei adäquaten Maßnahmen zur Diagnose und Kontaktermittlung – zu meist nur kurzen Infektketten.

Zudem gibt es etablierte Nachweisverfahren für das Virus: Der Nachweis von Affenpockenviren ist für virologische Facheinrichtungen in Deutschland grundsätzlich problemlos möglich.

Und es gibt Impfstoffe und sogar ein zugelassenes Medikament.

Auch der Typ des Virus ist ein ganz anderer: Bei den Affenpocken handelt es sich um ein DNA-Virus, dessen genetische Stabilität sich stark von RNA-Viren wie Corona- oder Influenza-Viren unterscheidet. Ständig mutierende neue Varianten wie bei SARS-CoV-2 – damit ist bei den Affenpocken, mit in der Regel sehr stabilem Genom, nicht zu rechnen. Die höchstens subtilen genetischen Änderungen könnten uns im Gegenteil sogar helfen, Übertragungswege des Virus durch Europa nachzuvollziehen.

Wie kann man sich vor einer Übertragung schützen?

Solche zoonotischen Infektionen mit Affenpocken in Afrika erfolgen in der Regel durch direkten Kontakt zu Wildtieren – bei der Jagd oder der Zubereitung von Wildbret. Übertragungen von Mensch zu Mensch sind möglich, erfordern in der Regel aber direkten Kontakt zu Infizierten.

Die Hauptinfektiosität sitzt in den Hautläsionen, die sich erst nach den ersten generelleren Krankheitserscheinungen wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Fieber entwickeln. In der Flüssigkeit dieser Pusteln und den sich anschließend bildenden Krusten befindet sich extrem viel Virus. Die Patientinnen und Patienten sind in der Regel nicht mehr infektiös, sobald diese Krusten abgefallen und die Pusteln abgeheilt sind.

Was muss geschehen, um die Ausbreitung der Affenpocken, wenn sie in ihrer Dynamik auch nicht mit SARS-CoV-2 zu vergleichen ist, einzudämmen?

Natürlich müssen die Behörden – und ich habe den Eindruck, dass sie das bereits gut machen – die Kontakte nachvollziehen und entsprechende Hygiene- und gegebenenfalls Quarantäne-Maßnahmen einleiten. Man kann außerdem empfehlen, Kontaktpersonen zu impfen. Aber wir brauchen sicher keine große Masse an Impfstoff zu bevorraten.

Sie selbst forschen an und entwickeln neue Impfstoffe auch gegen Pockenviren. Wie gut helfen bestehende Impfstoffe?

Moderne in Europa, Kanada und den USA zugelassene Pockenschutzimpfstoffe beruhen auf dem sicherheitsgetesteten und in Säugetieren nicht vermehrungsfähigen Vacciniavirus MVA (Modifiziertes Vacciniavirus Ankara), mit dem ich selbst mich schon seit meiner Doktorarbeit befasse. Es handelt sich um ein klassisches Impfvirus, das wirksame humorale Immunantworten – also Antikörper – und zugleich zelluläre Antworten – also T-Zellen – anregt.

Bei der Prophylaxe zum Schutz gegen Orthopockenvirus-spezifische Erkrankungen kommt der zellulären Immunität eine besondere Bedeutung zu. Das MVA dient aufgrund seiner klinisch erprobten Sicherheit und Fähigkeit zur Induktion schützender Virus-spezifischer T-Zellantworten – in meiner aktuellen Forschung nutzen wir das MVA übrigens auch zur Entwicklung breit wirksamer Impfstoffe gegen andere neu auftretende Viruskrankheiten. Dabei dient das Orthopockenvirus quasi als Vektor, der die Gensequenzen für Impfantigene anderer Erreger – wie etwa von MERS oder COVID-19 – sozusagen Huckepack nimmt und einschleust.

Wirkt die klassische Menschenpockenimpfung, von der Ältere von uns noch eine Narbe am Arm tragen, noch gegen die Affenpocken?

Einen Teilschutz kann man hier sicher erwarten. Wir wissen aus Einzelbeobachtungen, dass selbst Jahrzehnte nach diesem Massenimpfungsprogramm der WHO gegen Menschenpocken noch eine „Gedächtnisimmunantwort” vorhanden ist. Es gibt klare Daten, dass gerade die zelluläre, die T-Zell-Immunität noch virusspezifisch nachweisbar ist – auch wenn die Antikörperantwort im Serum schon verschwunden ist.

Während der Impfkampagne gegen die Menschenpocken erhielt das Pflege- und Impfpersonal allerdings alle drei Jahre eine Auffrischungsimpfung. Man muss aber dazu sagen, dass die Menschenpocken auf einem anderen Virus beruhten, das viel ansteckender und fulminanter in seiner Ausbreitung ist als das der Affenpocken.

Wie wirksam ist das bei uns zugelassene Medikament Tecovirimat gegen Affenpocken?

Dieses sogenannte „Small Molecules”-Medikament greift hochspezifisch genau ein Protein von Orthopockenviren an, verhindert das Ausschleusen neuer Viren aus infizierten Zellen. Es hat demnach eine wirklich sehr gute Wirksamkeit bei gleichzeitig guter Verträglichkeit. Das weiß man aus ersten klinischen Fallberichten – auch wenn es davon insgesamt natürlich noch nicht viele gab. Die Zulassung von Tecovirimat beruhte auf sehr vielen präklinischen Versuchen an verschiedensten Tiermodellen.

SARS, Vogelgrippe, Schweinegrippe, MERS, Ebola, Zika, COVID und jetzt die Affenpocken: Erleben wir eine Häufung und Beschleunigung neuer Krankheiten und insbesondere Zoonosen – oder ist das nur unser Eindruck im Informationszeitalter?

Nein, das ist tatsächlich so und auch unsere Erfahrung in der Virologie. Wir beobachten das schon seit 20 Jahren, angefangen 1999 mit der plötzlichen Eroberung Nordamerikas durch das West-Nil-Fieber: Flugzeug, Moskito, Ankunft in New York – das reichte, damit es sich damals binnen weniger Jahre auf dem gesamten nordamerikanischen Kontinent ausbreiten konnte.

Verschiedene Faktoren spielen eine Rolle für die Häufung neuer Virusinfektionen: Einmal haben wir durch die wachsende Weltbevölkerung ein ständig neues Vordringen des Menschen in Gebiete, in denen er vorher nicht war. Das Wirtssystem Mensch ist also plötzlich zugänglich für Viren, mit denen der Mensch vorher nie in Kontakt war.

Auch die Ernährung spielt eine Rolle: Wir Virologen beobachten seit Jahren diese Märkte in China, wo erwiesenermaßen neue Influenza- und eben Corona-Viren von Tier zu Mensch übertragen werden.

Und natürlich hat in den vergangenen Jahrzehnten die Handels- und Reisetätigkeit in einem globalisierten Maße zugenommen – was es einem neuen Erreger erlaubt, mit einem Flugreisenden binnen zwei Tagen von Malaysia nach Frankfurt zu gelangen. Die Schnelligkeit der Verbreitung hat dramatisch zugenommen. Ein weiterer Faktor ist der Klimawandel: Infolge der Temperaturentwicklungen gibt es ein Vordringen von Virusvektoren wie Steckmücken oder Zecken in ganz neue Areale.

Sind Medizin und Gesellschaft nach den Erfahrungen mit COVID besser gerüstet, neuen Pandemien vorzubeugen?

Bei allem Schaden und Unglück, das die COVID-19-Pandemie über uns gebracht hat: Ich glaube, sie hat immerhin weltweit eine Aufmerksamkeit dafür geschaffen, dass solche Ereignisse tatsächlich eintreten können – und man sich entsprechend vorbereiten muss.

Dazu gehört, dass die Gesundheitssysteme mit Schutzkleidung versorgt und mit wirksamen Containment-Strategien gerüstet sind, aber auch, dass die Forschung vorausdenkt, welche Erreger gefährlich werden und welche Impfstoffe benötigt werden könnten.

Wir sind sicher auch gut beraten, entsprechende Produktionsstätten für Medikamente und Impfstoffe bereitzuhalten – auch lokal in Europa. Ich bin selbst bei der von der WHO initiierten und begleiteten „Coalition for Epidemic Preparedness Innovation” involviert, einer weltweiten öffentlich-privaten Partnerschaft von Firmen und wichtigen Forschungsinstituten. Diese beobachtet bestimmte „Most Wanted”-Viren, von denen man glaubt, dass sie unter Umständen gefährlich werden könnten – wie das Krim-Kongo-Fieber oder das MERS-Coronavirus. Das Affenpockenvirus, auch wenn es der Öffentlichkeit nun bedrohlich erscheint, gehört nicht dazu.

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München

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