Auf den ersten Blick sehen die meisten Metamaterialien eher unspektakulär aus. Denn mit bloßem Auge ähneln sie ganz gewöhnlichen Kristallen oder glatten Oberflächen. Auch ihre Zusammensetzung muss keineswegs exotisch sein: Einige bestehen aus Metall, andere aus Silizium oder sogar Plastik. Trotzdem bringen sie Licht und andere elektromagnetische Strahlung zu scheinbar unmöglichem Verhalten.
Manipulation des Lichts
Einige Metamaterialien können beispielsweise die Richtung, Phase und Polarisierung eines Lichtstrahls so verändern, dass das Licht quasi in den Rückwärtsgang gezwungen wird. Der Strahl wird vom Material genau anders herum gebrochen als bei einem normalen Material üblich. Das führt zu dem paradoxen Effekt, dass eine konkave Sammellinse aus diesem Metamaterial das Licht nicht bündelt, sondern zerstreut. Umgekehrt würde eine Streulinse das Licht bündeln – physikalische Gesetze scheinen auf den Kopf gestellt.
Möglich ist dieser paradoxe Effekt, weil solche Metametamaterialien einen negativen Brechungsindex haben. Die Strahlung wird dadurch beim Eintritt in dieses Material nicht zum Lot hin gebrochen, sondern darüber hinaus in die entgegengesetzte Richtung. Lange war die Existenz solcher Materialien nur ein Gedankenspiel, eine theoretische Vorhersage, die der russische Physiker Viktor Veselago im Jahr 1968 aufgestellt hatte. Denn in der Natur scheinen negative Brechungsindizes nicht vorzukommen. Erst in künstlich erzeugten Materialien wurden sie erstmals nachgewiesen.
Unendlich schnelle Phase und stehende Welle
Die Eigenheiten der Metamaterialien bewirken aber noch etwas: Einige von ihnen können Licht unendlich schnell machen und es gleichzeitig stillstehen lassen. Das klingt wie ein Widerspruch zu Einsteins Relativitätstheorie, nach der die Lichtgeschwindigkeit absolut und nicht überschreitbar ist. In diesem Fall geht es aber nicht um die Lichtgeschwindigkeit als Ganzem, sondern um ihre Phasengeschwindigkeit – das Tempo, mit dem sich ein einzelner Wellenberg bewegt. Bei normalem Licht im Vakuum entspricht die Phasengeschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Die einzelnen Wellen in einem Wellenpaket bewegen sich genauso schnell wie das gesamte Wellenpaket.
In Metamaterialien mit einem Brechungsindex gleich null lässt sich jedoch beides entkoppeln. Die Wellen im Paket bewegen sich dann schneller als das Paket als Ganzes und dadurch kann die Phasengeschwindigkeit höher sein als die Lichtgeschwindigkeit. 2015 haben Forscher ein Metamaterial konstruiert, in dem die Phasengeschwindigkeit des Lichts sogar unendlich schnell wird – und die Wellenlänge dadurch unendlich groß. Das Ergebnis ist eine stehende Welle aus Licht, die sich sogar sichtbar machen lässt.
Auf die Größe kommt es an
Was aber steckt dahinter? Das Geheimnis der Metamaterialien liegt in ihrer Struktur: Sie weisen winzige, sich wiederholende Grundeinheiten auf, die ähnlich wie bei einem normalen Kristall die Durchlässigkeit für Licht und andere Strahlung beeinflussen. Die geringe Größe und spezielle Form dieser Einheiten sorgt jedoch bei den Metamaterialien dafür, dass die Strahlung auf physikalisch ungewöhnliche Weise manipuliert wird.
Wie groß die Struktur eines Metamaterials sein darf, hängt dabei von der Wellenlänge der Strahlung ab: Die exotische Brechung tritt erst dann auf, wenn die sich wiederholenden Grundeinheiten kleiner sind als eine viertel Wellenlänge der einfallenden Strahlung. Das bedeutet: Soll das Metamaterial langwellige Strahlung wie Radar- oder Radiowellen manipulieren, können die Zellen mehrere Zentimeter groß sein. Bei sichtbarem Licht hingegen bewegen sie sich im Nanometerbereich.
Von Silizium bis Kupfer
Woraus ein Metamaterial besteht und wie seine Struktur beschaffen ist, kann ebenfalls sehr unterschiedlich sein. Einige dieser Konstrukte bestehen aus winzigen Kanälchen, Plättchen oder Säulen, die in Silizium-Chips eingebettet sind. Auch eine regelmäßige Anordnung von Schlitzen oder Löchern oder eine Struktur ähnlich winzigen gestapelten Holzscheiten kann zum Metamaterial werden. Andere Varianten tragen kleine Säulen aus Metall oder Metallverbindungen auf ihrer Oberfläche, deren Geometrie und Abstände die exotischen Brechungseffekte hervorbringen.
Fast schon ein Kunstwerk ist eine Metamaterial-Linse, mit der Forscher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) Radiowellen manipulieren: Das flache, konkav gewölbte Konstrukt besteht aus mehr als 4.000 s-förmig gebogenen Kupferhäkchen, die jeweils nur wenige Millimeter groß sind. Diese Grundeinheiten sind so miteinander verhakt, dass sie eine vier Zentimeter dicke und 25 Zentimeter breite Linse bilden, die für Mikro- und Radiowellen durchlässig ist. Dank seines negativen Brechungsindex kann dieses kettenhemdartige Metamaterial die Strahlung so stark brechen und bündeln wie sonst nur meterlange Strahlengänge.