Während zweieiige Zwillinge sich nicht ähnlicher sind als jedes andere normale Geschwisterpaar auch und nur etwa 50 Prozent ihrer Gene teilen, galten eineiige Zwillinge lange Zeit als genetisch absolut identisch – als Klone. Weil sie aus ein und derselben befruchteten Eizelle entstehen, müssten sie in 100 Prozent ihres Genoms übereinstimmen. Noch dazu sehen sie nahezu gleich aus und teilen häufig ähnliche Interessen und einen ähnlichen Geschmack.
Doch das täuscht. Vollkommen identisch ist auch ein eineiiges Zwillingspärchen niemals. Das fängt schon beim Fingerabdruck und dem Muster der Iris an, die sich auch bei eineiigen Zwillingen niemals vollkommen gleichen, genauso wie meist auch die Körpergröße. Auch Leberflecken entstehen an unterschiedlichen Stellen und der eine Zwilling kann Links-, der andere Rechtshänder sein. Zudem muss auch der Charakter keinesfalls ähnlich sein, es können sich durchaus vollkommen unterschiedliche Persönlichkeiten mit ganz anderen Interessen und Neigungen entwickeln, genau wie sich auch die gesundheitliche Entwicklung teils stark unterscheiden kann.
Unterschiedliche Aktivität der Gene
Die Ursache dieser unterschiedlichen Entwicklung sehen Forscher in der Epigenetik. Das ist ein Mechanismus, der durch Anhängen von Molekülstrukturen an die DNA die Aktivität unserer Gene steuert, sodass sich auch eineiige Zwillingen trotz gleicher DNA unterschiedlich entwickeln können.
Anders als der genetische Code der DNA ist dieses epigenetische Muster nicht starr, sondern kann durch Umwelteinflüsse verändert werden. Dazu gehören die Ernährung, sportliche oder geistige Aktivität, Stress, sogar die Luftqualität und vieles mehr. Mit zunehmendem Alter können sich deshalb auch eineiige Zwillinge je nach Lebensstil immer mehr unterscheiden. So kann bei gleicher genetischer Voraussetzung, zum Beispiel einer Mutation, die das Brustkrebsrisiko erhöht, nur einer der Zwillinge tatsächlich erkranken und das epigenetische Muster als Ursache dafür sogar sichtbar gemacht werden.
Die epigenetische Auseinanderentwicklung kann sogar schon im Mutterleib beginnen. Bereits hier unterliegen die Embryos leicht unterschiedlichen Umwelteinflüssen, beispielsweise bei der Lage im Bauch oder der Zusammensetzung des Nabelschnurbluts. Lange führten Forscher die Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen daher nur auf die Epigenetik zurück. Mittlerweile ist aber bekannt, dass auch tatsächliche Unterschiede auf DNA-Ebene bestehen.
Keine genetischen Klone
Eineiige Zwillinge unterscheiden sich also doch auch genetisch wesentlich stärker als bisher gedacht und besitzen keinesfalls ein vollkommen identisches Erbgut. So fand ein Forscherteam der isländischen Firma DeCODE genetics jetzt heraus, dass sich eineiige Zwillinge aufgrund von Mutationen bereits sehr früh beginnen auf DNA-Ebene auseinander zu entwickeln. Im Schnitt unterscheiden sie sich bereits im frühen Embryonalstadium durch 5,2 Mutationen, 15 Prozent der Zwillinge sogar erheblich stärker. Bis zu 100 Mutationen konnten die Forscher feststellen.
Anhand dieser Mutationen können Zwillinge mittlerweile sogar genetisch eindeutig unterschieden werden. Was lange Zeit als unmöglich galt, ist dank immer hochentwickelteren Sequenziermethoden, mit denen die genaue Basenabfolge der DNA bestimmt wird, heute möglich. Die Zeiten, in denen Vaterschaften oder Kriminaltaten eineiiger Zwillinge ungeklärt blieben, sind damit vorbei.
Diese subtilen Genunterschiede könnten auch die seltenen Fälle erklären, in denen nur ein Zwilling durch eine Mutation eine rein angeborene Erkrankung entwickelt. Das ist ein wichtiger Aspekt auch für die sogenannte Zwillingsforschung. Denn diese basiert eigentlich auf der Annahme, dass eineiige Zwillinge genetisch völlig identisch sind und untersucht auf dieser Basis den Einfluss von Umweltfaktoren.