Kaum zähflüssiger als Wasser: Beim Ausbruch der Cumbre Vieja strömte ungewöhnlich dünnflüssige Lava den Vulkan hinab, wie Messungen jetzt enthüllen. Demnach war die Viskosität der glühenden Gesteinsschmelze eine der niedrigsten je bei einer Basalt-Lava beobachteten. In Kombination mit einer besonders hohen Temperatur floss die Lava dadurch stellenweise wie Wasser und zeigte auch einige nie zuvor bei Lava beobachtete Phänomene.
Der Ausbruch der Cumbre Vieja von September bis Dezember 2021 war eine der längsten und schwerwiegendsten in der jüngeren Geschichte der Kanaren. Die Lavaströme zerstörten oder beschädigten mehr als 3.000 Gebäude, blockierten Straßen und begruben gut 1.000 Hektar Land unter sich. Die bis ins Meer vordringende Gesteinsschmelze ließ die Insel zudem um rund 25 Hektar größer werden.
„Wie Regenwasser an einer Fensterscheibe“
Auffällig war dabei vor allem das schnelle Vorrücken der Lavaströme. „Schon auf den im Fernsehen und im Internet veröffentlichten Aufnahmen der Lavaströme konnte man die hohe Geschwindigkeit der Lava und Anzeichen für ihre geringe Viskosität erkennen“, sagt Yves Feisel von der Universität Mainz. Die Lava schien deutlich schneller und dünnflüssiger als beispielsweise vergleichbare Gesteinsschmelzen auf Hawaii. Stellenweise floss sie mit mehr als zehn Metern pro Sekunde zu Tal.
Noch ungewöhnlicher: Feisel und sein Kollege Jonathan Castro beobachteten auch einige Phänomene, die eher für Wasser als für Lava typisch sind: Am 18. November 2021 schoss ein besonders hellglühender und heißer Lavastrom den Hang hinab und zeigte dabei stehende Wellen und andere Flutwellen-ähnliche Strukturen. „Unseres Wissens nach ist so etwas noch nie zuvor dokumentiert worden“, sagt Castro. Diese Strömungsschübe in Verbindung mit dem hohen Fließtempo der Lava erinnerten eher an das Fließen von Wassertropfen an einem Fenster als an geschmolzenes Gestein.
Extrem geringe Viskosität
Was steckte dahinter? Um herauszufinden, warum sich die Lava des Cumbre Vieja so ungewöhnlich verhielt, untersuchten Feisel und Castro sie im Labor. Dafür sammelten sie frische Ascheproben und schmolzen diese in einem speziellen Ofen ein. Mithilfe eines sogenannten Rheometers ermittelten sie dann die Viskosität der Schmelze bei verschiedenen Temperaturen.
Die Messungen ergaben: „Die Viskosität der Lava war eine der niedrigsten, die jemals bei einer basaltischen Eruption beobachtet wurde“, sagt Feisel. Mit einem Wert von zehn bis 160 Pascalsekunden war die von der Cumbre Vieja zutage geförderte Gesteinsschmelze zehnmal dünnflüssiger als die Lava beim Ausbruch des Kilauea auf Hawaii im Jahr 2018. Zudem waren die Temperaturen beim Lavaaustritt mit bis zu 1.200 Grad besonders hoch. „Dies liefert eine Erklärung für das schnelle Fließen der Lava und ihr merkwürdiges hydrodynamisches Verhalten“, schreiben die Forscher.
Basanit-Magma mit besonders wenig Silikat
Als Ursache für die extreme Dünnflüssigkeit identifizierten die Wissenschaftler die chemische Zusammensetzung der Lava: Ihren Analysen zufolge handelt es sich dabei um einen sogenannten Nephelin-normativen Basanit. Dieser Magmatyp enthält extrem wenig Siliziumdioxid und nimmt selbst dann kein Silikat auf, wenn die Schmelze auskristallisiert. „Deswegen behält diese Lava selbst nach einiger Abkühlung und Kristallisation noch eine geringe Viskosität“, erklären Castro und Feisel.
Die Lava der Cumbre Vieja konnte dadurch weite Strecken fließen, bevor sie langsamer wurde oder stockte. „Zu den physikalischen Konsequenzen dieser Bedingungen gehören Strömungen, die sowohl turbulent als auch superkritisch waren“, erklären die Forscher. Normalerweise geht man bei Lava eher von einer laminaren Strömung aus. „Die ultrageringe Viskosität macht den Basanit der Cumbre Vieja zu einer eigenen, von typischen Basalten verschiedenen Klasse“, konstatieren Feisel und Castro.
Hilfreich für künftige Gefahrenabschätzungen
Die Mainzer Forscher hoffen, dass ihre Erkenntnisse zur ungewöhnlichen Lava der Cumbre Vieja auch dazu beitragen, künftige Gefahren besser abzuschätzen. „Grundsätzlich ist es zwar sehr schwierig, Vorhersagen darüber zu treffen, wann und wie Vulkane ausbrechen“, sagt Feisel. Dennoch könne das Wissen über die Viskosität der Lava eine Hilfe darstellen. Typisch für so dünnflüssige Lava wie die der Cumbre Vieja sei es zum Beispiel, dass sie an vielen verschiedenen, auch wechselnden Stellen austreten könne.
Das Wissen über die geringe Viskosität und die hohe Fließgeschwindigkeit einer Lava könnte zudem dabei helfen, den potenziellen Verlauf der Lavaströme bei einem Ausbruch besser vorherzusagen. Mithilfe von Geländemodellen könnte der Weg der Gesteinsschmelzen und ihre Reichweite prognostiziert werden. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-30905-4)
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz