Mikrobiologie

Unterirdische Lebenswelt ist überraschend produktiv

Primärproduktion von Grundwasser-Mikroben ist ähnlich hoch wie bei Planktonalgen im Meer

unterirdisches Wasser
Die Mikroben im oberflächennahen Grundwasser sind deutlich produktiver als erwartet – das enthüllen Messungen ihrer Primärproduktion. © Nelson Jose Fernandes/ Getty images

Aktiv trotz Dauerdunkel und Nährstoffarmut: Mikroben in unterirdischen Wasserreservoiren sind weit produktiver als bisher angenommen. Ihre Primärproduktion pro Zelle liegt ähnlich hoch wie die von Planktonalgen im Ozean, wie Forscher ermittelt haben. Demnach binden die Bakterien im Grundwasser von Carbonat- und Silikatgesteinen insgesamt rund 260 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr – das entspricht der Biomasseproduktion in manchen Meeresgebieten und ist deutlich mehr als erwartet.

99 Prozent des irdischen Süßwassers liegen unter der Erde – in den Aquiferen und Reservoiren des Grund- und Tiefenwassers. Auch diese unterirdischen Lebensräume sind von Organismen besiedelt. Wie andere Bewohner der Tiefen Biosphäre leben sie im Dauerdunkel und müssen ihre Energie daher aus chemischen Reaktionen mit Wasserstoff, Schwefel und anderen gelösten Spurenelementen gewinnen. Weil ihr Lebensraum zudem oft sauerstoffarm und eher nährstoffarm ist, galten die Mikroorganismen des Grundwassers bisher als wenig produktiv.

Probennahme
Will Overholt und Kirsten Küsel bei der Entnahme von Grundwasserproben. © Friedrich-Schiller Universität Jena

Spurensuche im Aquifer

Wie aktiv die Bewohner des Grundwassers tatsächlich sind, haben nun Will Overholt von der Universität Jena und seine Kollegen näher untersucht. Dafür entnahmen sie Grundwasserproben aus mehreren fünf bis 90 Meter tief reichenden Brunnen in Thüringen. Diese liegen in Carbonatgesteinen, deren Aquifere rund zehn Prozent der gesamten irdischen Grundwassermenge beinhalten.

Einem Teil dieser Proben setzten die Forschenden eine winzige Menge radioaktiv markiertes Kohlendioxid zu und ließen die im Wasser enthaltenen Mikroben anschließend eine definierte Zeit arbeiten. Mithilfe der Beschleuniger-Massenspektrometrie ließ sich dann ermitteln, ob und wie viel Kohlenstoff die Mikroben in organische Verbindungen eingebaut hatten. Parallel dazu untersuchte das Team die mikrobielle Stickstofffixierung und führte Genanalysen zur Bestimmung der in den Grundwasserproben enthaltenen Organismen durch.

Grundwasser-Mikroben ähnlich produktiv wie Planktonalgen

Das überraschende Ergebnis: Die im Grundwasser enthaltenen Mikroorganismen – größtenteils Bakterien – nahmen im Schnitt rund 0,3 bis 10,8 Billiardstel Gramm Kohlenstoff pro Zelle und Tag auf und wandelten es in organische Verbindungen um. „Die von uns gemessenen Mengen waren damit viel höher, als wir erwartet hatten“, sagt Overholt. „Sie entsprechen Kohlenstofffixierungsraten, die in nährstoffarmen marinen Oberflächengewässern gemessen wurden.“

Weil im Grundwasser allerdings weniger Nährstoffe zur Verfügung stehen und die Organismendichte geringer ist, ist die Primärproduktion in den Aquiferen insgesamt niedriger als im Ozean: Die Nettoprimärproduktion aller weltweiten Carbonat-Aquifere liegt bei rund 110 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr, wie das Team errechnete. Nimmt man die Primärproduktion von Aquiferen in kristallinen Silikatgesteinen hinzu, binden die Bewohner von zwei Dritteln aller Grundwasserreservoire weltweit zusammen mindestens 260 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr.

Anteil an irdischer Produktivität höher als gedacht

Insgesamt entspricht die in diesen Grundwasservorkommen erzeugte Biomasse damit etwa 0,5 Prozent der Nettoprimärproduktion aller Ozeane und 0,25 Prozent der gesamten globalen Nettoprimärproduktion. „Das mag wenig klingen, aber diese Messungen stellen nur eine erste Schätzung des wahren globalen Wertes dar“, sagt Seniorautorin Kirsten Küsel von der Universität Jena. „Da in diesen nährstoffarmen und ständig dunklen Lebensräumen nur sehr wenig Energie zur Verfügung steht, ist selbst ein geringer Anteil an der weltweiten Primärproduktion eine Überraschung.“

Hinzu kommt, dass diese Berechnung nur die Grundwasservorkommen der Carbonat- und Silikatgesteine berücksichtigt hatte. „Es fehlt damit der Beitrag von Mikroben in den Aquiferen der silikoklastischen und vulkanischen geologischen Umgebungen“, betonen die Forschenden. „Der gesamte globale Beitrag dieser Systeme zum Kohlenstoffkreislauf dürften daher um ein Vielfaches höher sein.“

Hauptakteure sind noch unbekannte Mikroben

Aus den Genanalysen der Grundwasserproben ging hervor, dass ein Großteil der Primärproduktion im Grundwasser durch chemolithoautotrophe Organismen geleistet wird – Mikroben, die ihre Energie aus der chemischen Umwandlung von aus dem Gestein stammenden Rohstoffen gewinnen. Im sauerstoffhaltigen Grundwasser geschieht dies vorwiegend durch die Nitrifikation von Ammoniak, in sauerstoffarmen Aquiferen gewinnen die Mikroben ihre Energie größtenteils durch die Verarbeitung von Schwefel und Wasserstoff.

Eine besonders große Rolle spielt dabei offenbar eine Gruppe noch nicht genauer bestimmter Mikroorganismen aus der Ordnung der Nitrospiria. Sie könnten ähnlich wie die Mikroalgen der Meere die Basis der Nahrungsnetze im Grundwasserökosystem bilden, vermutet das Forschungsteam. „Unsere Ergebnisse bieten neue Einblicke in die Funktionsweise dieser unterirdischen Ökosysteme und geben Hinweise darauf, wie Grundwasserquellen überwacht oder saniert werden können”, sagt Küsel. (Nature Geoscience, 2022; doi: 10.1038/s41561-022-00968-5)

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)

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