Schon der Anblick reicht: Wenn wir etwas Essbares sehen, reagiert unser Gehirn prompt. Es löst eine kurze Entzündungsreaktion aus, bei der der Entzündungs-Botenstoff Interleukin-1 beta ausgeschüttet wird, wie nun eine Studie enthüllt. Dieser Botenstoff wiederum sorgt dafür, dass die Bauchspeicheldrüse das Blutzuckerhormon Insulin freisetzt und uns so auf die Kohlehydrat-Verdauung vorbereitet. Das Interessante jedoch: Bei Übergewichtigen und Diabetikern fällt diese Reaktion übermäßig stark aus.
Wenn wir etwas essen, sorgt eine Fülle verschiedener Signale dafür, dass unser Körper auf die Verdauungsarbeit vorbereitet ist. So melden Rezeptoren im Mund und Magen die Ankunft von Nahrung, woraufhin entsprechende Enzyme in Magen und Darm ausgeschüttet werden. Doch schon vor dem ersten Bissen führt der Anblick und Geruch einer Mahlzeit zu körperlichen Reaktionen: Das appetitanregende Hormon Ghrelin wird freigesetzt und auch die Leber bereitet sich vor.
Vorbereitende Insulin-Ausschüttung
Ähnliches gilt für das Blutzuckerhormon Insulin: Auch dieser Botenstoff tritt bereits auf den Plan, bevor der erste Bissen zwischen unseren Zähnen angekommen ist. Die Insulin-Ausschüttung in der Bauchspeicheldrüse wird dabei von einem neuronalen Signal stimuliert, das über das parasympathische Nervensystem und den Vagus-Nerv zur Pankreas gelangt. Doch auf welche Weise das Gehirn diese Signalkaskade anstößt, war bisher unklar.
Für ihre Studie haben Sophia Wiedemann von der Universität Basel und ihre Kollegen daher gezielt nach Botenstoffen gesucht, die das Bindeglied zwischen dem Nahrungsreiz im Gehirn und dem Nervensignal an die Bauchspeicheldrüse bilden könnten. Dafür untersuchten sie unter anderem das Blut und den Gehirnstoffwechsel von Mäusen, die nach einer Fastenperiode ein Futterpellet vorgesetzt bekamen.
Am Anfang der Kaskade steht Interleukin-1
Die Analysen enthüllten: Der Anblick von Essen löst im Gehirn eine kurzzeitige Entzündungsrektion aus, bei der der Botenstoff Interleukin-1 beta ausgeschüttet wird. Dieser Entzündungsfaktor ist an der Abwehrreaktion des Körpers gegen Krankheitserreger oder auf Gewebeschäden beteiligt. Jetzt zeigt sich jedoch, dass Interleukin-1 beta auch als Reaktion auf eine bevorstehende Mahlzeit freigesetzt wird.
„Geruch und Anblick einer Mahlzeit regen bestimmte Immunzellen im Hirn an, die sogenannten Mikroglia“, berichtet Wiedemann. „Diese schütten kurzfristig IL-1 beta aus, was wiederum über den Vagusnerv das vegetative Nervensystem anspricht.“ Die Forschenden vermuten, dass die Mikrogliazellen des Gehirns schon fertige Bläschen mit dem Interleukin enthalten, die dann auf den Nahrungsanblick hin sofort freigesetzt werden. Dadurch dauert es nur zwei bis drei Minuten, bis diese Signalkette eine Insulin-Ausschüttung bewirkt.
Die typische Insulin-Reaktion blieb dagegen aus, wenn den Mäusen zuvor ein Hemmstoff für die Interleukin-1-Andockstellen verabreicht oder ihre Mikrogliazellen genetisch gestört wurden, wie das Team berichtet.
Vermittler zwischen Auge und Darm
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist damit ein wichtiges Puzzleteil in der komplexen Regulation unserer Verdauung gefunden. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass IL-1 beta eine wichtige Rolle spielt, um sensorische Informationen wie Anblick und Geruch einer Mahlzeit mit der anschließenden, neuronal vermittelten Insulinsekretion zu verknüpfen und diese Verbindung zu regulieren“, fasst Seniorautor Marc Donath von der Universität Basel zusammen.
Diese wichtige Verdauungsvorbereitung kann jedoch gestört werden: Wenn die Forschenden ihre Mäuse vor dem Test zwei Wochen lang mit fettreichem Futter fütterten, war diese vorbereitende Signalkaskade gestört. Die Tiere produzierten viel weniger Vorab-Insulin als normal. Nähere Analysen enthüllten, dass diese an einer übermäßigen und zu langen Ausschüttung von Interleukin-1 beta lag: Dies löste eine anhaltende und heftige Entzündungsreaktion aus, die dann die Insulin-Ausschüttung beeinträchtigte.
Bei Übergewichtigen und Diabetikern gestört
Das Spannende daran: Ganz ähnliche Probleme mit dem vorbereitenden Insulin lassen sich bei stark übergewichtigen Menschen und Diabetikern beobachten. Auch bei ihnen ist diese Signalkaskade gestört und das entzündungsfördernde Interleukin wird zu viel und zu lange freigesetzt. „Dass dieser Entzündungsfaktor bei Gesunden für einen erheblichen Anteil einer normal funktionierenden Insulinausschüttung verantwortlich ist, ist deshalb überraschend, weil er auch in die Entstehung von Typ-2-Diabetes involviert ist“, erklärt Donath.
Die neuen Erkenntnisse liefern damit auch potenzielle Ansatzstellen für Therapien gegen Übergewicht und Diabetes. Tatsächlich laufen bereits klinische Studien dazu, ob sich Hemmstoffe gegen diesen Entzündungsfaktor zur Behandlung des Diabetes eignen. (Cell Metabolism, 2022; doi: 10.1016/j.cmet.2022.06.001)
Quelle: Universität Basel