Gefährlich nah: Im Herzen der Milchstraße haben Astronomen den Stern mit dem bisher kürzesten Orbit um das zentrale Schwarze Loch entdeckt. Der Stern S4716 benötigt nur vier Jahre für einen Umlauf und bewegt sich dabei mit bis zu 2,6 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Sein Abstand zum Schwarzen Loch variiert dabei zwischen 99 und 706 astronomischen Einheiten – so eng umkreist kein anderer Stern Sagittarius A*. Wie ein Stern in so großer Nähe dieses Schwerkraftgiganten stabil bleiben kann und wie er dorthin gelangte, ist noch offen.
Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße ist für normale Teleskope weitgehend unsichtbar, macht sich aber durch seinen Einfluss auf nahe Sterne bemerkbar. Diese sogenannten S-Sterne rasen in hohem Tempo und in teilweise sehr exzentrischen Orbits um Sagittarius A* herum. Durch ihre Nähe zum Schwerkraftgiganten zeigt ihr Licht eine ausgeprägte Gravitations-Rotverschiebung und Schwarzschild-Präzession: Ihre fernsten und nächsten Bahnpunkte verschieben sich im Laufe der Zeit so, dass der Orbit eine Rosette bildet.
Weil die Ausprägung dieser Merkmale einiges über die Eigenschaften des Schwarzen Lochs verrät, sind sie für Astronomen von besonderem Interesse.
Stellares Gedrängel am Schwarzen Loch
Das Problem jedoch: Die Sterne des S-Clusters sind so dicht gedrängt und schnell, dass sie sich ständig gegenseitig verdecken oder überstrahlen. Das macht es schwer, sie voneinander zu unterscheiden und ihre Bahnen genau zu verfolgen. „Ein prominenter Vertreter, der Stern S2, verhält sich dabei wie eine große Person, die sich im Kino vor einen setzt: Sie blockiert die Sicht auf das Wesentliche“, erklärt Erstautor Florian Peißker von der Universität zu Köln.
Deshalb ist es auch schwer herauszufinden, welcher dieser Sterne dem Schwarzen Loch am nächsten kommt und es am engsten umkreist. Als aussichtsreichste Kandidaten galten bisher der Stern S62 mit einer Umlaufzeit von 9,9 Jahren und der erst im Jahr 2020 identifizierte Stern S4711 mit einer Umlaufzeit von 7,2 Jahren. Doch schon damals beobachteten die Astronomen weitere, lichtschwächere Sterne, die dem Schwarzen Loch noch näher kommen könnten.
Nur vier Jahre für einen Umlauf
Peißker und sein Team haben deshalb noch einmal die Beobachtungsdaten der großen Teleskope des Keck-Observatoriums auf Hawaii und des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile mit neuen Methoden analysiert. Durch spezielle Filtermethoden und computergestützte Auswertung der Sternpositionen gelang es ihnen, inmitten des unübersichtlichen Sterne-Wirrwarrs die Spur eines zuvor unerkannten Mitglieds des stellaren S-Clusters zu verfolgen.
Es zeigte sich: Der Stern S4716 ist dem Schwarzen Loch noch näher als die bisher bekannten Kandidaten. Für einen Umlauf um Sagittarius A* benötigt dieser Stern nur 4,02 Jahre. Kein anderes Mitglied des S-Clusters umkreist das Schwarze Loch in so kurzer Zeit. „Dass sich ein Stern auf einem stabilen Orbit so nah und schnell im Umfeld eines supermassiven Schwarzen Lochs befindet, ist vollkommen unerwartet und markiert die Grenze, die mit traditionellen Teleskopen beobachtet werden kann“, erklärt Peißker.
Rasend schnell und ziemlich nah
Außergewöhnlich auch: Auf seiner exzentrischen Bahn um das supermassereiche Schwarze Loch kommt der Stern S4716 diesem bis auf 99 astronomische Einheiten nahe – das entspricht nur etwa dem Dreifachen des Abstands von der Sonne zum Neptun. Selbst der fernste Punkt seines Orbits liegt nur 706 astronomische Einheiten von Sagittarius A* entfernt. „Dieser Stern hat damit den kompaktesten Orbit des gesamten S-Clusters“, berichten die Astronomen. Der Stern ist der erste, dessen gesamter Orbit komplett innerhalb des Abstands von 1.000 astronomischen Einheiten zum Schwarzen Loch liegt.
Wie andere Sterne des S-Clusters wird der Stern S4716 durch den Einfluss des nahen Schwarzen Lochs stark beschleunigt. Seine Umlaufgeschwindigkeit erreicht nahe an Sagittarius A* knapp 8.000 Kilometer pro Sekunde – das entspricht rund 2,65 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Am fernsten Punkt seiner Bahn rast der Stern noch mit immerhin 1.200 Kilometer pro Sekunde durch das All. Er gehört damit auch zu den schnellsten Sternen seiner Gruppe, wie die Astronomen berichten.
Deutliche Gravitations-Effekte
Die enorme Gravitationswirkung des Schwarzen Lochs zeigt sich auch an weiteren Eigenschaften von S4716: Sein Licht ist stark rotverschoben und der Orbit des Sterns zeigt die stärkste eindeutig messbare Schwarzschild-Präzession im S-Cluster, wie Peißker und sein Team berichten. Der rund vier Sonnenmassen schwere Stern hat zudem eine Bahnneigung, die stark von der der anderen Sterne im S-Cluster abweicht. Das passe zu Modellen, nach denen die Bandbreite der Neigungen mit engeren Orbits größer werde, so das Team.
Schon beim vorherigen Rekordhalter S62 vermuteten die Astronomen, dass es sich um einen „Squeezar“ handeln könnte – einen von den enormen Gezeitenkräften des Schwarzen Lochs stark aufgeheizten und gestauchten Sternentyp. Tatsächlich ist der S4716 mit einer Oberflächentemperatur von 12.000 Kelvin doppelt so heiß wie die Sonne.
Rätsel der Entstehung
Die große Nähe des Sterns zum Schwarzen Loch und sein enger Orbit werfen aber auch einige grundlegende Fragen auf: „Die kurzperiodische, kompakte Bahn von S4716 ist ziemlich rätselhaft“, sagt Koautor Michal Zajaček von der Masaryk-Universität im tschechischen Brno. „Sterne können sich nicht so einfach in der Nähe des Schwarzen Lochs bilden.“ Denn die starke Anziehungskraft des Schwarzen Lochs stört den Kollaps kalter Gase und damit die Sternbildung.
„Das Vorkommen eines Sterns in einem so kompakten Orbit erfordert einen Mechanismus, der den Stern aus größerer Entfernung nach innen bringt“, erklären die Astronomen. Sie vermuten, dass der Stern S4716 durch eine nahe Passage oder den Störeffekt eines massereichen Objekts von seiner ursprünglichen Bildungsstelle in größere Nähe zum Schwarzen Loch gebracht wurde. (The Astrophysical Journal, 2022; doi: 10.3847/1538-4357/ac752f)
Quelle: Universität zu Köln