Neurowissenschaften

Schlaf: Einbahnstraße für akustische Reize

Gehirn verarbeitet Hörreize im Schlaf besser als gedacht, gibt aber kein Feedback

Gehirn im Schlaf
Im Schlaf reagiert unser Gehirn durchaus auf Geräusche, trotzdem nehmen wir sie nicht bewusst wahr – aber warum? © Hank Grebe/ Getty images

Der Cortex antwortet nicht: Wenn wir schlafen, reagiert unser Gehirn durchaus noch auf Geräusche – aber anders als gedacht, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach werden die Signale der akustischen Reize zwar bis in die höheren Verarbeitungsebenen weiterleitet und dort analysiert. Was aber im Schlaf fehlt, ist das Feedback dieser höheren Hirnareale. Dadurch können wir nächtliche Geräusche nicht identifizieren oder uns auf sie fokussieren – eine bewusste Wahrnehmung bleibt aus.

Im Schlaf ist unser Bewusstsein von der Außenwelt abgekoppelt – nicht aber unsere Sinne und unser Gehirn. Denn Ohren oder Nase nehmen auch im Tiefschlaf noch Reize von außen wahr und leiten sie ans Gehirn weiter. Dadurch kann beispielsweise ein Duft unsere Träume beeinflussen oder der Wecker uns morgens aus dem Schlaf reißen. Sogar eine gewisse Filterung der Reize findet statt, wie Studien nahelegen. Unklar war aber bisher, warum wir uns dieser Reize nicht bewusst werden und wie sich ihre Verarbeitung von der im Wachzustand unterscheidet.

Wie gut hört das schlafende Gehirn?

Eine Antwort darauf liefert nun eine Studie von Hanna Hayat von der Universität Tel Aviv und ihren Kollegen. Sie haben das Rätsel der Schlafwahrnehmung bei 13 Epilepsiepatienten untersucht, denen zu Diagnosezwecken ein ganzes Netz von Elektroden ins Gehirn eingesetzt worden war. Anders als bei bloßen Ableitungen der Hirnströme von außen konnten sie dadurch genau mitverfolgen, wie das Gehirn der Teilnehmenden in verschiedenen Schlafphasen auf eine Reihe von Geräuschen reagierte.

Dafür platzierten die Forschenden Lautsprecher am Bett der Patienten und spielten ihnen zunächst tagsüber, dann zu verschiedenen Zeiten in der Nacht leise Geräusche vor – Klicklaute, Tonfolgen, Musikstücke und auch Sprachaufnahmen. Über die implantierten Elektroden zeichneten sie dann die Art und Intensität der Hirnströme von rund 50 Neuronen in verschiedenen Hirnteilen auf. Parallel dazu wurden die jeweiligen Schlafphase über Augenbewegungen, Muskeltonus und ein normales EEG bestimmt.

Starke und weitreichende Reaktion…

Die Auswertungen ergaben: Selbst im Tiefschlaf und Traumschlaf reagiert das Gehirn noch erstaunlich stark auf akustische Reize. „Wir waren überrascht, denn die Reaktion im Schlaf war viel stärker und umfassender als erwartet“, sagt Hayat. Dies zeigte sich vor allem in einer deutlichen Intensitätsspitze bei den Gammawellen – Hirnströmen einer Frequenz von 80 bis 200 Hertz, die eng mit der Aktivität der Hörrinde verknüpft sind. „Die Stärke dieser Gamma-Reaktionen war im Tief- und Traumschlaf kaum schwächer als im Wachzustand“, berichtet das Team.

Nähere Analysen ergaben zudem, dass die von akustischen Reizen ausgelösten Signale im Gehirn länger anhalten und in mehr Areale weitergeleitet werden als gedacht. „Bis vor Kurzem glaubte man, dass solche Signale in der Hirnrinde schnell verschwinden“, erklärt Hayat. Das sollte erklären, warum wir Geräusche im Schlaf nicht bewusst wahrnehmen – sie kommen in den Arealen des Bewusstseins gar nicht erst an. „Doch unsere Elektrodendaten zeigen, dass die Signale im Gehirn von einer Station zur nächsten weitergereicht werden – weit über die Hörrinde hinaus.“

Das bedeutet: Im Schlaf gehörte Geräusche werden im Gehirn zunächst fast genauso verarbeitet wie im Wachzustand. Auch diese Reize gelangen in die höheren Verarbeitungsebenen, werden gefiltert und analysiert.

…aber kein Feedback

Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied, wie die Studie enthüllte: Im Wachzustand führt die Wahrnehmung eines Reizes dazu, dass Alpha- und Beta-Hirnströme deutlich abgeschwächt und desynchronisiert werden. Diese Wellen mit einer Frequenz von zehn bis 30 Hertz sind eng mit Entspannung und Aufmerksamkeit verknüpft. „Unseren Daten nach ist die fehlende Alpha-Beta-Dämpfung der größte Unterschied in der Reizverarbeitung zwischen Schlafen und Wachen“, schreiben Hayat und ihre Kollegen.

Die Abschwächung dieser Hirnwellen gilt als Indikator für aktive Feedback-Prozesse, durch die das Gehirn unsere Aufmerksamkeit und bewusste Wahrnehmung steuert. Dieses Feedback dient normalerweise dazu, unsere Wahrnehmung auf bestimmte, relevante Reize zu fokussieren. „Studien haben gezeigt, dass die Dämpfung der Alpha-Beta-Wellen mit einer besseren Verarbeitung und Unterscheidung von Sprache und visuellen Reizen verknüpft ist“, erklären Hayat und ihre Kollegen. Doch diese Stufe der Reizverarbeitung – das Feedback – bleibt im Schlaf offenbar aus oder ist stark abgeschwächt, wie nun die aktuellen Ergebnisse nahelegen.

Anzeiger für Koma und Locked-In-Syndrom

Damit könnte die Forschenden den Faktor gefunden haben, der unsere Wahrnehmung im Wachzustand von der im Schlaf unterscheidet: „Unsere Resultate liefern uns einen wichtigen Schlüssel zur alten Frage: Was ist der X-Faktor in der Hirnaktivität, der die bewusste Wahrnehmung im Wachzustand von dem fast bewusstlosen Zustand des Schlafes unterscheidet?“, sagt Hayats Kollege Yuval Nir. „In unserer Studie haben wir nun dazu eine neue Spur gefunden.“

Gleichzeitig könnte die neuen Erkenntnisse auch dabei helfen, echte Bewusstlosigkeit, beispielsweise bei Komapatienten oder in der Narkose, von einem Wachkoma oder Locked-In-Zustand zu unterscheiden. Der Grad der Alpha-Beta-Dämpfung müsste dann verraten, ob der Patient die akustischen Reize bewusst hört oder nicht. „Damit haben wir jetzt erstmals ein quantitatives Maß dafür, um die bewusste Wahrnehmung von akustischen Reizen bei einem Menschen zu bewerten“, sagt Nir. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41593-022-01107-4)

Quelle: Tel-Aviv University

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