Wie schützen Spechte beim Hämmern ihr Gehirn? Nach landläufiger Meinung haben die Vögel dafür eine Art Stoßdämpfer im Schädel, der die Wucht der Schläge abmildert. Doch neue Analysen widerlegen dies nun. Sie enthüllen, dass der Spechtkopf eher wie ein steifer, komplett ungedämpfter Hammer funktioniert. Denn nur so erreicht der Vogel genügend Wucht, um das Holz aufzuschlagen. Trotzdem besteht keine Gefahr einer Gehirnerschütterung, wie die Forschenden im Fachmagazin „Current Biology“ demonstrieren.
Das Hämmern der Spechte ist legendär: Weithin hallend schlagen diese Vögel mit ihrem Kopf und Schnabel auf Baumstämme ein, um Futter zu finden, sich Höhlen aus dem Holz herauszumeißeln oder Weibchen zu beeindrucken. Doch wie schaffen die Spechte das, ohne sich bei ihren mehr als 12.000 Schlägen pro Tag eine Gehirnerschütterung zuzuziehen? Nach landläufiger Meinung umgeht der Specht diese Gefahr, weil sein Schädel auf besondere Weise stoßgedämpft ist – ähnlich wie ein Fahrrad- oder Motorradhelm.
„Während ich Spechte im Zoo filmte, habe ich immer wieder gehört, wie Eltern ihren Kindern erklärten, dass die Spechte keine Kopfschmerzen bekommen, weil ihr Kopf eingebaute Schockabsorber hat“, berichtet Erstautor Sam Van Wassenbergh von der Universität Antwerpen.
„Schutzhelm“-Hypothese überprüft
Als möglicher Kandidat für einen solchen Stoßdämpfer galt unter anderem der poröse Knochen im vorderen Schädelbereich. Auch spezielle Muskeln am Schnabel und Kiefer könnte zu dämpfenden Wirkung beitragen, so die Annahme. Das Problem nur: Diese Dämpfung würde auch die Wucht des Aufpralls auf das Holz verringern – und damit dem Zweck des Schlagens zuwiderlaufen. „Wenn der Schnabel so viel von seinem eigenen Impuls absorbieren würde, dann müsste der arme Vogel noch stärker hämmern“, erklären Van Wassenbergh und seine Kollegen.
Was also passiert tatsächlich im Kopf des hämmernden Spechts? Das haben die Forschenden nun noch einmal überprüft. Dafür werteten sie zunächst Highspeed-Videos von sechs Spechten aus drei verschiedenen Spezies aus. Um die beim Schlag auf verschiedene Kopfteile wirkenden Beschleunigungen und Bremseffekte messen zu können, malten sie den Vögeln farbige Messpunkte auf den Schnabel, die Schädelpartie hinter den Augen sowie den Scheitel.
Steif und ungedämpft wie ein Hammer
Die Highspeed-Analysen enthüllten: „Der Schädelbereich zwischen Schnabel und Augenpartie reagierte bei allen Testvögeln steif, die Reaktionen beim abrupten Aufprall unterschieden sich nicht“, berichten die Forschenden. Alle Partien des Vogelschädels wurden demnach mit gleichem Tempo abgebremst, es gab keine Verzögerungen, wie sie bei einer abpuffernden, dämpfenden Wirkung entstehen müssten. „Das deutet darauf hin, dass die Schock-Absorption minimal oder nicht vorhanden war“, so Van Wassenbergh.
Dieses Fehlen eines Schockabsorbers konnten die Wissenschaftler auch durch ergänzende biomechanische Modellsimulationen bestätigen. Der Schädel der Spechte hat demnach – anders als landläufig angenommen – keinen eingebauten „Sturzhelm“. Stattdessen ist er steif wie ein Hammer. Die Modelle bestätigten zudem, dass ein Schockabsorber dem Specht-Schlag so viel Energie rauben würde, dass er kaum ins Holz eindringen würde. „Spechte mit Stoßdämpfer müssten daher mit mehr Energie hämmern als ohne“, erklären die Forschenden.
Wenn die Vögel aber mit noch mehr Wucht auf das Holz schlagen müssen, würde dies den dämpfenden Effekt eines Schockabsorbers ausgleichen und damit zunichte machen. „In Bezug auf den Schutz des Gehirns hätte der Vogel daher keinen Vorteil von einer Dämpfung des Aufpralls“, konstatieren die Wissenschaftler.
Kein Schaden trotz hoher Beschleunigungen
Doch wie verhindert der Specht dann eine Gehirnerschütterung? Die Antwort darauf liefert das Gehirn des Vogels: Weil sein Gehirn viel kleiner und leichter ist als das unsrige, prallt es beim Hämmern weniger stark gegen das Schädelinnere, wie die Simulationen ergaben. Beim Menschen schlägt das Gehirn bei einem Stoß an der Schwelle zur Gehirnerschütterung mit gut 100 Kilopascal auf den Knochen.
„Selbst bei den stärksten Stößen der drei Spechtarten erfuhr ihr Gehirn nur 39 bis 60 Prozent dieses Drucks“, berichten Van Wassenbergh und sein Team. Die Spechte operieren demnach beim Hämmern noch weit im sicheren Bereich: „Die Vögel müssten doppelt so schnell auf ihre Baumstämme einschlagen oder auf eine viermal härtere Oberfläche hämmern, um eine Gehirnerschütterung zu erleiden“, erklären sie.
Mythos widerlegt
Nach Ansicht der Wissenschaftler ist damit der Mythos vom Schockabsorber im Spechtkopf klar widerlegt. Die Kombination von kleinem Gehirn und wenig Hirnflüssigkeit schützt die Vögel auch ohne „Schutzhelm“ vor schädlichen Folgen ihres Hämmerns. Die Ergebnisse könnten damit auch erklären, warum Spechte nur eine gewisse Maximalgröße erreichen können: Wären Kopf und Gehirn größer, drohte dann doch eine Gehirnerschütterung. (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.05.052)
Quelle: Cell Press