Auf das „Aufräumen“ kommt es an: Wenn Zelltypen auf engem Raum miteinander konkurrieren, ist nicht allein ihr Wachstumstempo entscheidend. Auch die schnelle Beseitigung toter Zellen stellt einen Wettbewerbsvorteil dar, wie eine Modellstudie nun enthüllt. Dabei gewinnen die Populationen die Oberhand, die ihre abgestorbenen Zellen schneller abbauen und so mehr aktive, sich teilende Zellen aufweisen. Relevant ist dies unter anderem bei Tumoren in umgrenzten Organen und Geweben, wie die Forschenden berichten.
In biologischen Gebilden findet ein ständiger Austausch von Zellmaterial statt, beispielsweise um die Integrität des Gewebes aufrechtzuerhalten, beim Tumorwachstum oder in Gemeinschaften von Bakterien. Nach gängiger Ansicht dominieren dabei die Zelltypen den begrenzten Raum, die sich in einer gegebenen Umgebung am schnellsten vermehren und weniger oft absterben.
Bisher meist nicht berücksichtigt
„Diese traditionellen Faktoren sind jedoch nicht die einzigen, die die Konkurrenzfähigkeit bestimmen“, sagt Seniorautor Ramin Golestanian vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS). Er und sein Team haben untersucht, welche Rolle die „Haltbarkeit“ nicht mehr teilungsfähiger alter Zellen oder schon gestorbener Zellkörper für den Erfolg einer Zellpopulation spielt. Typischerweise werden solche alten Zellen durch das zelluläre Selbstmordprogramm oder körpereigene Aufräummechanismen entsorgt.
Ob jedoch Unterschiede im Abbautempo bei verschiedenen Zelltypen bestehen und ob sie beispielsweise beim Tumorwachstum eine Rolle spielen, wurde bisher nicht berücksichtigt: In Modellen zum Zellwachstum wurde der Einfachheit halber meist ein instantaner Abbau eingestellt. „Wir wollten herausfinden, welchen Einfluss tote Materie auf das Wachstum eines lebenden Systems hat“, sagt Erstautor Yoav Pollack vom MPI-DS.
Vorteil für Zellen mit schnellem Abbau
Für ihre Studie simulierten die Wissenschaftler wachsende Zellen, die einen begrenzten Raum ausfüllen, bis sich ein mechanischer Druck aufbaut und ein Zustand erreicht wird, bei dem sich Teilung und Zelltod die Waage halten. „Wir haben zwei Zelltypen analysiert, die sich ausschließlich in der Abtragungsrate von totem Material unterscheiden, und verfolgten den Anteil beider Populationen über die Zeit“, erklärt Pollack.
Das Ergebnis: „Wir konnten dabei eine deutliche Auswirkung auf die Gesamtfitness beobachten: Der Zelltyp, dessen tote Zellen schneller entfernt werden, war deutlich im Vorteil“, berichtet der Forscher. Durch die schnellere Beseitigung von totem Material stieg die Anzahl der lebenden Zellen dieser Population. Sie konnte sich dadurch gegen ihre Konkurrenz mit langsamerer Abbaurate durchsetzen und nahm in der Testumgebung mit begrenztem Platz schließlich den größten Raum ein.
Mehr Platz für aktive Zellen
Nähere Analysen zeigten auch, warum das schnelle „Aufräumen“ vorteilhaft ist: In einer homogenen Population gleicher Zellen fällt die Abbaurate kaum ins Gewicht. Doch wenn zwei verschiedene Zelltypen um Platz konkurrieren, ist diejenige im Vorteil, die an der Grenzfläche zur Konkurrenz mehr aktive, sich teilende Zellen aufweist. Denn bei ihr können die lebenden Zellen den frei gewordenen Platz schneller durch Teilung füllen.
„Vereinfacht könnte man sagen, dass das Ausräumen und Besetzen von neuem Raum vorteilhafter ist als das Festhalten an bereits besetztem Raum“, sagt Koautor Philip Bittihn. Dies gilt immer dann, wenn in einem Organ oder Gewebe der Platz begrenzt ist. Beispiele seien unter anderem Bakterien, die in engen Knochenkanälchen wachsen, Körperzellen in einer Kapillare oder auch Tumore in Geweben mit begrenztem Platz. (New Journal of Physics, 2022; doi: 10.1088/1367-2630/ac788e)
Quelle: Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation