Evolution

Als die Säugetier-Vorfahren warmblütig wurden

Innenohr-Fossilien enthüllen überraschend späten, aber schnellen Wechsel zur Endothermie

Säugetiervorfahr
Vor rund 233 Millionen Jahren entwickelten Säugetiervorfahren die Warmblütigkeit – und konnten so selbst in kalten Regionen ihre Körpertemperatur stabil halten. © Luzia Soares

Verblüffende Erkenntnis: Die frühen Vorfahren der Säugetiere entwickelten ihre Warmblütigkeit offenbar später als gedacht – dafür aber erstaunlich schnell. Denn der Wandel zur Endothermie geschah erst vor rund 233 Millionen Jahren, wie die feinen Knochenkanäle fossiler Innenohr-Relikte enthüllen. Innerhalb von weniger als einer Million Jahren entstanden damals die ersten gleichwarmen Vertreter unter den Säugetiervorfahren, wie Paläontologen in „Nature“ berichten.

Heute sind nur Vögel und Säugetiere warmblütig – erst diese Fähigkeit zur aktiven Regulation ihrer Körpertemperatur machte sie so anpassungsfähig und erfolgreich. Doch wann die Vorfahren der Säugetiere diese Fähigkeit entwickelten, ist eines der großen ungelösten Rätsel ihrer Evolution.

Widersprüchliche Daten

Weil es nur wenige, an Fossilien ablesbare Indikatoren dafür gibt, gehen einige Paläontologen von einer Endothermie schon bei vor rund 300 Millionen Jahren lebenden Vorfahren höherer Reptilien und Säugetiere aus. Andere sahen das große Aussterben am Ende des Perm-Zeitalters vor rund 252 Millionen Jahren als Beginn der Warmblütigkeit oder aber die Entstehung der ersten echten Säugervor rund 200 Millionen Jahren. Noch verwirrender wird das Ganze dadurch, dass auch schon viele Dinosaurier gleichwarm waren.

Innenohr
Der Durchmesser der Bogengänge im Innenohr hängt auch von der Temperatur ab. Kaltblütige Synapsiden hatten eher weite, kurze Gänge, während die schon warmblütigen Säugetier-Vorfahren engere, lange Kanäle besaßen. © Romain David und Ricardo Araújo

Jetzt gibt es eine neue Spur. Denn Ricardo Araújo von der Universität Lissabon und seine Kollegen haben einen neuen Indikator gefunden, durch den sich die Körpertemperatur ausgestorbener Tiere an ihren Fossilien ablesen lässt – die feinen Knochenkanäle des Innenohrs. Die Bewegung der Flüssigkeit in diesen ringförmigen Kanälen verrät die Position von Kopf und Körper im Raum und ermöglicht es, das Gleichgewicht zu halten. Dies funktioniert aber nur dann gut, wenn diese Flüssigkeit im richtigen Tempo durch die Kanäle strömen kann.

Innenohr-Kanäle als Indikator

An diesem Punkt kommt die Körpertemperatur ins Spiel: „Wie Honig wird das Fluid in diesen Bogengängen mit zunehmender Wärme flüssiger“, erklärt Ko-Erstsautor Romain David vom Natural History Museum in London. Sollen die Sinneszellen im Innenohr korrekt arbeiten, dürfen ihre Bogengänge daher nicht zu weit sein. Umgekehrt macht Kälte die Innenohrflüssigkeit zähfließender. Das aber bedeutet auch, dass wechselwarme, in kühler Umgebung lebende Tiere dickere Kanäle benötigen.

„Während des Übergangs zur Endothermie waren daher morphologische Anpassungen nötig, um eine optimale Funktion aufrecht zu erhalten“, sagt David. Für ihre Studie haben die Paläontologen nach genau diesen morphologischen Veränderungen gesucht. Dafür analysierten sie die Innenohr-Knochenkanälchen bei Schädelfossilien von 64 ausgestorbenen Säugetiervorfahren und die Schädel von gut 200 heute lebenden kalt- und warmblütigen Tierarten.

Auf Basis der heutigen Tierarten ermittelten sie die morphologischen Schwellenwerte für Warm- und Kaltblütigkeit. Mithilfe dieses Index konnten sie dann die fossilen Tiere einordnen.

Wandel vor 233 Millionen Jahren

Das Ergebnis: Die ersten Warmblüter traten erst in der Gruppe der Mammaliamorpha auf – einer vor rund 233 Millionen Jahren entstandenen Stammeslinie, die neben allen Säugetieren und ihren direkten Vorfahren auch frühe, zwischen Reptilien und Säugern stehende Formen wie die Tritylodontidae umfasst. Anders als angenommen waren noch ältere Vertreter der synapsiden Reptilien wie Dimetrodon oder Ophiacodon hingegen noch wechselwarm.

Als die ersten Säugetier-Vorfahren warmblütig wurden, erhöhte sich ihre Körpertemperatur dadurch im Schnitt um rund fünf bis neun Grad. Während ihre wechselwarmen Verwandten meist Körpertemperaturen um 25 Grad aufwiesen, behielten diese ersten Warmblüter eine Temperatur von gut 33 Grad, wie das Team ermittelte. Gleichzeitig begannen sie etwa um diese Zeit auch mehrere säugetiertypische Stoffwechselwege und ein Fell zu entwickeln – wahrscheinlich zum Zweck der Wärmeisolation.

Übergang geschah erstaunlich schnell

Überraschend auch: Der Wechsel zur Warmblütigkeit geschah offenbar ungewöhnlich schnell: „Anders als zuvor gedacht war dies kein gradueller, Millionen von Jahren dauernder Prozess“, sagt Araújo. Stattdessen tauchten innerhalb von weniger als einer Million Jahren plötzlich zahlreiche warmblütige Säugetiervorfahren nahezu gleichzeitig auf. „Nach geologischen Maßstäben ist dies sehr schnell“, so Araújo.

Besonders deutlich wurde dieser rapide Übergang bei Fossilien aus dem Karoo-Becken in Südafrika, einer Region, in der besonders viele Relikte von Säugetierfossilien erhalten geblieben sind. Weil dieses Gebiet in der Trias näher am Südpol lag als heute, war es dort zudem relativ kühl, was die Unterschiede zwischen schon warmblütigen und noch kaltblütigen Tieren deutlicher machte. „Die Veränderungen in den Innenohr-Bogengängen können nur durch eine insgesamt wärmere Körpertemperatur dieser Säugetiervorfahren verursacht worden sein“, sagt Koautor Julien Benoit von der University of Witwatersrand. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-04963-z)

Quelle: University of the Witwatersrand, Field Museum

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