Sonnensystem

Unerkannte Asteroiden in Sonnennähe?

Innerhalb der Venus- und Merkurbahn könnte es eine unentdeckte Asteroidenpopulation geben

sonnennaher Asteroid
Innerhalb der Venus- und Merkurbahn könnten noch zahlreiche unentdeckte Asteroiden kreisen. © Reyk YO!/ gemeinfrei

Von der Sonne überstrahlt: Innerhalb der Bahnen von Venus und Merkur könnte es noch zahlreiche unerkannte Asteroiden geben – darunter auch potenzielle „Planetenkiller“ auf instabilen Bahnen. Dies legen jüngste Entdeckungen des bisher sonnennächsten Asteroiden sowie des ersten Asteroiden mit einem Orbit komplett innerhalb der Venusbahn nahe. Das Problem jedoch: Solche sonnennahen Asteroiden sind schwer zu entdecken. Nur in der Dämmerung haben Teleskope überhaupt eine Chance, sie aufzuspüren.

Die meisten Asteroiden des Sonnensystems haben ihren Ursprung im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Es gibt aber auch Brocken, die durch Kollisionen oder den Schwerkrafteinfluss der Planeten aus diesem ringförmigen Reservoir herausgeschleudert wurden. Ihre neuen Bahnen können sie dann zu Erdbahnkreuzern oder sogar Venusbahnkreuzern machen. Der Bereich in unmittelbarer Sonnennähe – komplett innerhalb der Venus- oder sogar Merkurbahn – galt allerdings lange als weitgehend leer, weil Brocken dort nur schwer stabile Orbits finden können.

2020 AV2
Der im Jahr 2020 entdeckte Asteroid 2020 AV2 ist der erste, dessen Orbit vollständig innerhalb der Venusbahn liegt. © Caltech-IPAC/ R. Hurt

Kilometergroße Brocken in Sonnennähe

Doch das ist möglicherweise ein Irrtum. Einige neue Entdeckungen legen nun nahe, dass im innersten Bereich des Sonnensystems möglicher mehr Brocken umherfliegen als lange angenommen. So entdeckten Astronomen Anfang 2020 den ersten sogenannten „Vatira“ – einen Asteroiden, dessen Orbit komplett innerhalb der Venusbahn liegt. Der 2020 AV2 oder ‚Ayló’chaxnim getaufte Brocken ist wahrscheinlich mehr als einen Kilometer groß und wurde möglicherweise durch den Schwerkrafteinfluss eines Planeten in seine sonnennahe Bahn geschleudert.

Ein zweites Beispiel ist der erst 2021 entdeckte Asteroid 2021 PH27. Dieser ebenfalls gut einen Kilometer große Brocken folgt einer elliptischen Bahn, die die Orbits von Merkur und Venus kreuzt und kommt der Sonne bis auf 20 Millionen Kilometer nahe – so nahe wie kein anderer Asteroid. Dadurch zeigt sein Orbit den stärksten je im Sonnensystem beobachteten relativistischen Effekt: Die enorme Gravitation in Sonnennähe verschiebt den sonnennächsten Punkt seiner Bahn um rund eine Bogenminute pro Jahrhundert.

Instabile Bahnen

Nach Ansicht von Scott Sheppard von der Carnegie Institution for Science in Washington sind diese großen, sonnennahen Brocken wahrscheinlich keine Einzelfälle: Innerhalb der Venus- und sogar der Merkurbahn könnte es noch zahlreiche weitere unerkannte Asteroiden geben – darunter auch einige weitere „Planetenkiller“ von mehr als einem Kilometer Größe. „Bisher wurde erst ein Bruchteil der Himmelsregion durchsucht, in der Vatiras und ähnlich sonnennahe Asteroiden sich aufhalten“, erklärt Sheppard.

Das Problem: Die Bahnen von Asteroiden so nah an der Sonne sind relativ instabil. „2020 AV2 wird beispielsweise nur wenige Millionen Jahre auf seinem Vatira-Orbit bleiben, bevor er den Venusorbit kreuzt“, erklärt Sheppard. „Er wird dann entweder mit einem Planeten kollidieren, von dessen Gezeitenkräften oder von der Sonne zerrissen werden oder aber ganz aus dem inneren Sonnensystem ausgeschleudert.“ Durch solche Prozesse könnten zuvor unerkannte Asteroiden auch auf Kollisionskurs mit der Erde geraten.

Vulcanoiden
Innerhalb der Merkurbahn könnte es einen weiteren Asteroidengürtel geben, die Vulcanoiden. Belege dafür fehlen aber bisher. © Szczureq/ gemeinfrei

Gibt es einen Vulcanoiden-Gürtel?

Interessant sind die sonnennahen Brocken aber noch aus einem anderen Grund: Bisher gilt der Asteroidengürtel als Ursprungsort der meisten Asteroiden im Sonnensystem. Doch aus physikalischen Gründen ist es für Asteroiden vergleichsweise schwer, von diesem Reservoir jenseits der Marsbahn bis in Sonnennähe vorzudringen. „Für ein Objekt wird es immer schwerer und schwerer, je weiter nach innen es sich bewegen soll“, erklärt Sheppard.

Das könnte nahelegen, dass die Vatiras und andere sonnennahe Asteroiden möglicherweise aus einem anderen, weiter innen liegenden Reservoir stammen – vielleicht sogar dem hypothetischen Vulcanoiden-Gürtel. „Vulcanoiden sind Asteroiden, deren Orbits komplett innerhalb der Merkurbahn liegen“, so Sheppard. „Diese könnten dort gebildet worden sein und über Milliarden Jahre lang stabile Umlaufbahnen besitzen.“

Als Indiz für die Existenz eines solchen „inneren Asteroidengürtels“ gelten dynamische Berechnungen, nach denen es innerhalb der Merkurbahn, etwa 0,06 bis 0,21 astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, eine Zone mit stabilen Orbits geben könnte. Außerdem deutet die stark von Einschlägen geprägte Oberfläche des Merkurs darauf hin, dass es auch in diesem sonnennahen Bereich des Sonnensystems zumindest ein kleines Reservoir von Asteroiden geben könnte.

Schwer aufzuspüren

Das Problem jedoch: Vulcanoiden oder auch potenziell gefährliche „Planetenkiller“ auf instabilen Orbits innerhalb der Venusbahn sind nicht leicht aufzuspüren. Wegen ihrer Sonnennähe sind sie nicht bei Nacht sichtbar, sondern stehen gleichzeitig mit der Sonne am Himmel. Sie lassen dadurch nur tagsüber oder maximal in der Dämmerung aufspüren. „Das erzeugt einen blinden Fleck, weil viele erdnahe, innerhalb der Erdbahn kreisende Objekte sich im Sonnenlicht verbergen könnten“, sagt Sheppard.

Auch die beiden sonnennahen Asteroiden 2020 AV2 und 2021 PH27 wurden erst durch Teleskope entdeckt, die in der Dämmerung die Himmelsregion knapp über dem Horizont durchmustert hatten. Sheppard plädiert deshalb dafür, die Asteroiden-Suche noch gezielter auch auf Dämmerungs-Durchmusterungen auszuweiten. Dafür geeignete Teleskope sind unter anderem die Zwicky Transient Facility in Kalifornien und die Dark Energy Camera am Blanco-Teleskop in Chile – beide haben bereits einige Vatiras und sonnennahe Asteroiden entdeckt. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abj9820)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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