Chemisches Bindeglied: Ein neuentdeckter Reaktionsweg könnte erklären, wie entscheidende Lebensbausteine auf der Urerde entstanden sind – die ersten Aminosäuren. Nötig waren dazu Cyanide, Ammoniak und Kohlendioxid, die alle in der „Ursuppe“ vorhanden waren, und dazu als Ketosäuren. Sie werden noch heute von lebenden Zellen zur Aminosäuresynthese genutzt. Der neue Reaktionsweg zeigt nun, wie dies auch ohne Enzyme funktioniert haben könnte – als präbiotische Vorstufe.
Wie und wo entstand das erste Leben? Und woher kamen die Grundbausteine dafür? Dazu gibt es bisher viele Hypothesen, aber nur wenige definitive Antworten. So vertreten einige Wissenschaftler die Ansicht, dass Aminosäuren, DNA-Basen und andere essenzielle Lebensbausteine im All entstanden und dann mit Kometen und Asteroiden zur Erde gelangten. Andere halten hydrothermale Schlote, heiße Tümpel oder Gesteins-Poren für die Syntheseorte dieser Biomoleküle. Einige chemische Reaktionen, durch die beispielsweise DNA-Bausteine dort entstehen konnten, wurden bereits rekonstruiert.
Kluft zwischen präbiotischem und biologischem Reaktionsweg
Etwas schwieriger ist es jedoch bei den Aminosäuren – den Grundbausteinen der zellulären Proteine. Zwar hat schon das berühmte Miller-Urey-Experiment nachgewiesen, dass diese Moleküle aus einfachen Vorstufen wie Methan, Ammoniak, Wasser und Wasserstoff entstehen können. Dabei bilden Aldehyde eine Zwischenstufe, die dann durch Reaktion mit Cyaniden und Ammoniak in Aminosäuren umgewandelt werden.
Das Problem nur: Diese vom Aldeyhd ausgehenden Reaktionswege unterscheiden sich fundamental von den biochemischen Abläufen in lebenden Zellen. Denn diese wandeln Alpha-Ketosäuren – Carbonsäuren mit einem zusätzlichen doppelt gebundenen Sauerstoffatom – mithilfe von Enzymen in Aminosäuren um. Beim Übergang von der präbiotischen „Ursuppe“ zu den ersten Zellen hätten die Zellen demnach der gesamte Reaktionsweg quasi neu erfinden müssen – eine eher umständliche und wenig plausible Lösung.
„Wenn wir dagegen eine Chemie finden, die einerseits zu den präbiotischen Bedingungen passt und andererseits einen fließenden Übergang zu den biologischen Prozessen erlaubt, könnte dies das Dilemma lösen“, erklären Sunil Pulletikurti vom Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla und seine Kollegen.
Von Ketosäuren zu Aminosäuren
Genau diesen Reaktionsweg könnten die Chemiker nun entdeckt haben. Er erklärt, wie aus Alpha-Ketosäuren auch ohne Enzyme Aminosäuren entstehen können – und bildet so das Bindeglied zwischen präbiotischer und biologischer Aminosäuresynthese. Basis der Reaktion bilden einfache Ketosäuren, die bei Raumtemperatur und verschiedensten pH-Werten unter den Bedingungen der Urerde entstehen können. Als wichtigen Katalysator dafür hatte das Team bereits Anfang 2022 die Cyanide identifiziert.
Für ihr aktuelles Experiment mischten Pulletikurti und seine Kollegen Ketosäuren und Cyanid in wässriger Lösung mit Ammoniak. Dies löste Reaktionen aus, die als Zwischenprodukt Hydantoine bildeten – eine chemische Vorstufe von Aminosäuren wie Alanin und Glycin. „In diesem Kontext ist anzumerken, dass auch in Meteoriten viele Hydantoine nachgewiesen wurden“, betonen die Chemiker. Das lege nahe, dass diese Reaktion auch bei der Bildung von Lebensbausteinen im All ablaufe.
Gaben die Chemiker nun zu ihrer „Ursuppe“ noch Kohlendioxid dazu, reagierte das Hydantoin zu Aminosäuren weiter. Damit waren auch ohne Enzym aus Ketosäuren die für das Leben wichtigen Aminosäuren entstanden.
Reaktion erzeugt auch Vorstufen von DNA-Basen
Interessant auch: Durch Zugabe weiterer Zutaten wie Harnstoff konnten die Forscher aus den Ketosäuren und ihrem Zwischenprodukt Hydantoin auch Vorstufen von DNA-Basen herstellen. Damit kann der von Pulletikurti und seinem Team identifizierte Reaktionsweg gleich zwei Arten von Lebensbausteinen produzieren.
Nach Ansicht des Forschungsteams wirft dies ein neues Licht auf die chemischen Prozesse, die dem ersten Leben den Weg geebnet haben könnten. „Wir glauben, dass die von uns beschriebenen Reaktionen durchaus auf der frühen Erde abgelaufen sein könnten“, sagt Seniorautor Ramanarayanan Krishnamurthy vom Scripps Institute. „Sie könnten den Übergang von der präbiotischen zum biologischen Chemie erklären.“ (Nature Chemistry, 2022; doi: 10.1038/s41557-022-00999-w)
Quelle: Scripps Research Institute