Astronomie

Erste Neutronenstern-Kollision im Millimeter-Licht

ALMA-Teleskope zeigen Nachglühen eines der bisher stärksten Gammastrahlen-Ausbrüche

Gammastrahlenausbruch
In einer fernen Galaxie ist ein Neutronenstern mit einem anderen Stern kollidiert und hat einen der stärksten je beobachtete kurzen Gammastrahlenausbrüche ausgelöst. © ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), M. Weiss (NRAO/AUI/NSF)

Explosives Ende: Astronomen haben erstmals eine der energiereichsten Explosionen des Kosmos im Millimeterwellen-Bereich beobachtet – die Kollision eines Neutronensterns mit einem Begleitstern. Der dabei erzeugte kurze Gammastrahlenausbruch war einer der stärksten je detektierten. Die Analyse des Nachglühen im langwelligen Millimeter-Bereich erlaubte es den Forschenden, den Ursprung des Ausbruchs und die Breite seiner energiereichen Strahlenjets zu ermitteln – dies liefert wichtige Informationen über solche Ereignisse.

Gammastrahlenausbrüche sind die hellsten und energiereichsten Explosionen des Kosmos: Innerhalb weniger Sekunden können sie so viel Strahlung freisetzen wie unsere Sonne in ihrer gesamten Lebenszeit. Ursache für lange, bis zu einigen Minuten dauernde Gamma-Ray Bursts sind wahrscheinlich Supernovae, kurze Ausbrüche gehen hingegen auf die Kollision eines Neutronensterns mit einem zweiten Stern zurück. Sie sind die „Fabriken“ in denen die schweren Elemente unseres Universums gebildet werden.

Die von einer solchen Kollision ausgelöste Explosion erzeugt konzentrierte Jets aus energiereichen Teilchen und Strahlung. Trifft eines dieser sich bewegenden Strahlenbündel die Erde, erzeugt dies einen kurzen, meist nur wenige Zehntelsekunden andauernden Gammastrahlen-Puls.

GRB 211106A
Nachglühen des Gammastrahlenausbruchs GRB 211106A im Millimeter-Wellenbereich, aufgenommen vom ALMA-Observatorium.© ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), T. Laskar (Utah), S. Dagnello (NRAO/AUI/NSF)

Nachglühen von Gammablitzen im Visier

Jetzt ist es Astronomen erstmals gelungen, das Nachglühen eines solchen kurzen Gammastrahlenausbruchs im Millimeter-Wellenbereich einzufangen. „Die Strahlung des Nachglühens ist essenziell, um herauszufinden, aus welcher Galaxie der Gammablitz stammt und wie die Explosion ablief“, erklärt Erstautor Tanmoy Laskar von der Radboud Universität in den Niederlanden. Besonders wichtig sind dabei die langwelligeren Strahlenanteile, die durch Interaktion der Jets mit umgebendem Gas zustande kommen.

Das Problem jedoch: Bisher konnten Astronomen nur ein halbes Dutzend kurze Gammablitze im Radiowellenbereich beobachten, für Millimeterwellen waren die verfügbaren Teleskope jedoch zu schwach und die Ausbrüche zu weit entfernt. Erst jetzt ist es dank der hohen Auflösung und Sensitivität des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) erstmals gelungen, die Millimeter-Strahlung einer solchen Neutronenstern-Kollision einzufangen.

Ein Blitz aus einer weit entfernten Galaxie

Der Gammablitz GRB 211106A wurde am 6. November 2021 zunächst vom ESA-Gammastrahlen-Observatorium Integral detektiert, daraufhin richteten Astronomen zahlreiche weitere Teleskope auf die Quelle, darunter auch das NASA-Röntgenteleskop Swift, das Hubble-Weltraumteleskop und die Antennen von ALMA. Die Hubble-Aufnahmen engten das Feld in Frage kommender Galaxien ein, aber erst die ALMA-Daten im Millimeter-Wellenbereich verrieten die wahre Lage und Natur der Explosion.

Demnach ereignete sich diese Neutronenstern-Kollision in einer Entfernung, die einer Rotverschiebung von z= 0,7 bis 1,4 entspricht. Das bedeutet: Der Gammastrahlenausbruch geschah, als das Universum erst 40 Prozent seins heutigen Alters hatte. „Damit war diese Neutronenstern-Kollision zu weit entfernt, um die von ihr erzeugten Gravitationswellen zu detektieren – sie war außerhalb der Reichweite unserer aktuellen Gravitationswellen-Detektoren“, sagt Koautor Wen-fai Fong von der Northwestern University.

Rekordverdächtige Energie-Freisetzung

Umso wichtiger waren die aus den Millimeterwellen abgeleiteten Informationen. „Millimeter-Strahlung kann uns etwas über die Dichte der Umgebung um einen Gammastrahlenausbruch verraten. Kombiniert mit den Daten im Gamma- und Röntgenbereich können wir daraus die wahre Energie der Explosion ermitteln“, erklärt Fongs Kollegin Genevieve Schroeder. Im Falle von GRB 211106A wurde offenbar ein Teil der freigesetzten Explosionsenergie durch umgebende Staubwolken geschluckt.

Berücksichtigt man dies, muss die Explosion eine norme Energie freigesetzt haben: Die Astronomen ermittelten dafür einen Wert zwischen 2 x 1050 und 6 x 1051 Erg. „Die Energie ist damit unter den größten je für einen kurzen Gammastrahlenausbruch ermittelten“, konstatieren Laskar und seine Kollegen. Und auch das Nachglühen von GRB 211106A zeige gleich mehrere Superlative. Die im Nachgang der Explosion freigesetzte Röntgenstrahlung sei eine der stärksten je bei einem solchen Gammastrahlenausbruch detektierten, ähnliches gelte für die Radiostrahlung.

Jet mit weitestem Öffnungswinkel

Wichtig ist die Millimeter-Strahlung aber noch aus einem weiteren Grund: „Die Millimeter- und Radiowellen lieferten uns die Information, die wir benötigten, um den Öffnungswinkel des Jets zu messen“, erklärt Koautorin Alicia Rouco Escorial von der Northwestern University. „Dies ist essenziell, um die Eigenschaften der kurzen Gammastrahlenausbrüche im Kosmos zu ermitteln und um sie beispielsweise mit der Rate der Neutronensternkollisionen und der Verschmelzungen von Neutronensternen mit Schwarzen Löcher zu vergleichen.“

Die Auswertungen der ALMA-Daten ergaben, dass der Jet von GRB 211106A einen Öffnungswinkel von rund 15,5 Grad hatte. „Die ist einer der weitesten je bei einem kurzen Gammastrahlenausbruch beobachtete Jet-Öffnungswinkel“, berichten die Astronomen. Aus ihren Daten schließen sie, dass ALMA künftig rund ein vergleichbares Ereignis pro Jahr detektieren könnte. „Das übertrifft alle bisherigen Entdeckungsgraten von kurzen Gammastrahlenausbrüchen im Radiobereich“, so das Team.

Neue Möglichkeiten der astronomischen Forschung

Nach Ansicht der Astronomen eröffnet die Beobachtung von Gammablitzen und ihrem Nachglühen im vollen Spektrum der Strahlung ganz neue Möglichkeiten, diese noch immer in vieler Hinsicht rätselhaften Super-Explosionen zu erforschen. „Diese Beobachtungen sind auf vielen Ebene einfach fantastisch. Sie liefern uns mehr Informationen über die rätselhaften Gammastrahlenausbrüche und die Neutronenstern-Astrophysik im Allgemeinen“, kommentiert Joe Pesce von der US National Science Foundation.

Große Bedeutung kommt dabei auch dem neuen James-Webb-Weltraumteleskop zu. „Mit dem Webb-Teleskop können wir nun das Lichtspektrum der Heimatgalaxien solcher Ausbrüche analysieren und dadurch die Entfernung leichter bestimmen“, erklärt Laskar. „Außerdem können wir das JWST auch dazu nutzen, das Nachglühen im Infrarot-Bereich zu untersuchen und so mehr über die chemische Zusammensetzung zu erfahren.“ (The Astrophysical Journal Letters, Preprint; arXiv:2205.03419)

Quelle: National Radio Astronomy Observatory (NRAO), Northwestern University

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