Neurowissenschaften

Warum uns geistige Arbeit erschöpft

Intensives Denken reichert einen Überschuss an Glutamat in bestimmten Hirnarealen an

Gehirn
Wenn wir längere Zeit anspruchsvolle geistige Arbeit leisten, sind wir hinterher erschöpft – aber warum? © Sebastian Kaulitzki/ iStock

Rauchender Kopf: Wenn wir intensiv lernen oder andere anspruchsvolle geistige Arbeit leisten, sind wir hinterher erschöpft. Warum das so ist und was dabei im Gehirn vorgeht, haben Forschende nun herausgefunden. Demnach sammelt sich in unserem Denkorgan bei geistiger Anstrengung immer mehr Glutamat an – ein bei Hirnzell-Aktivität ausgeschütteter Botenstoff. Das spricht dafür, dass das Gehirn bei längerer kognitiver Belastung seine „Abfälle“ nicht mehr schnell genug entsorgen kann – und daher Erschöpfung signalisiert.

Ob stundenlanges Lernen, das Nachdenken über ein kniffliges Problem oder ein Schachturnier: Wenn wir uns längere Zeit intensiv geistig anstrengen, fühlen wir uns hinterher erschöpft. Wir werden denkfaul, meiden instinktiv weitere kognitive Herausforderungen und können auch unsere Impulse schlechter kontrollieren. Studien zeigen beispielsweise, dass Menschen dann der Verlockung durch Junkfood oder Süßigkeiten schlechter widerstehen können und auch Gefühlsäußerungen weniger gut unter Kontrolle haben.

Warum strengt Denken an?

Aber warum? Einer Theorie nach zehrt das Gehirn bei intensiver kognitiver Belastung seine Energiereserven in Form von Glucose auf. Die geistige Erschöpfung signalisiert demnach diesen Mangel und soll uns zu energiesparenderem Verhalten bewegen. „Die Erschöpfung ist diesen Theorien zufolge eine Art Illusion, die unser Gehirn erzeugt, damit wir mit den anstrengenden Aufgaben aufhören“, erklärt Seniorautor Mathias Pessiglione vom Institut für Gehirn und Rückenmark (ICM) in Paris.

Dieser Theorie widerspricht jedoch, dass Messungen keinen signifikant erhöhten Glucoseverbrauch bei geistiger Anstrengung zeigen. „Diese Theorien können zudem nicht erklären, warum die Selbstkontrolle von diesem postulierten Energiemangel betroffen sein soll, nicht aber andere kognitive Prozesse wie das Sehen“, konstatieren Pessiglione, Erstautor Antonius Wiehler vom ICM und ihre Kollegen. Sie haben daher nach einer anderen Erklärung gesucht.

Rauchende Köpfe für die Wissenschaft

Für ihr Experiment ließen die Forschenden 40 Testpersonen gut sechs Stunden lang entweder kognitiv anspruchsvolle oder leichte Aufgaben am Computerbildschirm lösen. Diese bestanden aus einem Wechsel von Gedächtnistests und Aufmerksamkeitsübungen. Zwischen den Aufgabenblöcken erfolgten jeweils Tests der Selbstkontrolle, außerdem wurde die Pupillenweite der Teilnehmenden gemessen, weil auch sie das Ausmaß der geistigen Anstrengung anzeigt.

Um zu klären, was vor, während und nach der kognitiven Belastung im Gehirn passierte, absolvierten die Testpersonen einen Teil der Testdurchgänge im Hirnscanner. Dabei zeichneten die Forschenden ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie auf. Parallel erfassten sie mithilfe einer Magnetresonanz-Spektroskopie die Konzentration verschiedener Stoffwechselprodukte und Botenstoffe im Gehirn.

Die Gruppe mit den anspruchsvolleren Aufgaben zeigte im Laufe des Testtages klare Anzeichen einer geistigen Erschöpfung: Ihre Selbstkontrolle ließ nach und ihre Pupillen spiegelten eine zunehmend größere Anstrengung wider. Auch subjektiv empfanden die Testpersonen den Tag als anstrengend und gaben an, sich erschöpft zu fühlen – dies galt aber für beide Gruppen gleichermaßen. „Das zeigt, dass das subjektive Empfinden allein kein Maßstab für die tatsächliche kognitive Erschöpfung ist“, erklären Pessiglione und seine Kollegen.

Auffallende Anreicherung von Glutamat

Umso aufschlussreicher waren die Ergebnisse der Hirnscans: Bei den Testpersonen mit den kognitiv anspruchsvolleren Aufgaben ließ die Aktivität im linken Bereich des präfrontalen Cortex signifikant stärker nach als bei ihren Mitprobanden. Dieser Teil des Stirnhirns ist unter anderem für höhere Denkfunktionen, Entscheidungen und die Impulskontrolle zuständig.

Parallel dazu zeigte sich bei den geistig erschöpften Teilnehmern eine verstärkte Anreicherung des Neurotransmitters Glutamat in den Zwischenzellräumen und Synapsen dieses Hirnareals. Glutamat ist ein anregender Botenstoff, der für die Übermittlung von Nervensignalen wichtig ist. Er wird bei intensiver Aktivität der Synapsen vermehrt ausgeschüttet. „Dabei kann ein Mangel an Glutamat im Inneren der Neuronen ihre Aktivität beeinträchtigen, ein Überschuss außerhalb der Zellen stört dagegen die Übertragung an den Synapsen“, erklärt das Team.

Erschöpfung als Signal

Damit zeigen diese Ergebnisse, dass die geistige Erschöpfung auf messbaren Veränderungen im Hirnstoffwechsel beruht. Nach langer, anspruchsvoller kognitiver Arbeit sammelt sich im Gehirn ein Überschuss an Glutamat an, weil dieses vermehrt ausgeschüttet wurde. Dabei kommt das Denkorgan aber nach einiger Zeit nicht mehr mit der Beseitigung dieses Abfallprodukts hinterher, so dass es sich zunehmend anreichert.

„Die erhöhte Anstrengung durch geistige Arbeit hängt damit zusammen, dass das Gehirn versucht, die Glutamat-Konzentrationen in akzeptablen Grenzen zu halten“, erklären die Wissenschaftler. Die Erschöpfung signalisiert, dass das Gehirn dies nicht mehr schafft und bringt uns dazu, unserem Denkorgan eine Ruhepause zu gönnen. „Das beste Rezept gegen geistige Erschöpfung sind daher Pausen und Schlaf“, sagt Pessiglione. „Denn es gibt gute Belege dafür, dass Glutamat während des Schlafes aus den Synapsen entfernt wird.“ (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.07.010)

Quelle: Cell Press

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