Astronomie

Beteigeuzes „Herzschlag“ ist verstummt

Roter Überriese zeigt Nachwehen des gigantischen Plasma-Ausbruchs von 2019

BEteigeuze
Der Rote Überriese Beteigeuze hat 2019 eine gigantische Plasma-Eruption erlebt – einen Massenauswurf dieser Dimension haben Astronomen noch nie zuvor bei einem Stern beobachtet. © NASA/ ESA, Elizabeth Wheatley (STScI)

Stellare Nachwehen: Der Riesenstern Beteigeuze durchlebt noch immer die Folgen einer gewaltigen Plasma-Eruption vor drei Jahren – des stärksten je bei einem Stern beobachteten Massenauswurfs. Bis heute vibriert das Innere des Rote Überriesen von dem Absprengen eines riesigen Stücks seiner Oberfläche, die „Wunde“ ist noch immer kühler als der Rest des Sterns. Gleichzeitig ist der „Herzschlag“ von Beteigeuze verstummt – ein langsames Pulsieren, das Astronomen seit 200 Jahren beobachtet haben.

Der Rote Überriese Beteigeuze ist am Himmel kaum zu übersehen: Er bildet den rechten Schulterstern des Orion. Weil sich der Stern dem Ende seines Lebenszyklus und damit einer Supernova-Explosion nähert, hat er sich bereits zu der enormen Größe von mehr als tausend Sonnenradien aufgebläht. Würde er im Zentrum des Sonnensystems stehen, läge seine Oberfläche auf Höhe der Jupiter-Umlaufbahn.

Helligkeitsabnahme von Beteigeuze im sichtbaren Licht. © ESO/M. Montargès et al.

Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit der Astronomen, als sie Ende 2019 eine ungewöhnliche Abdunklung des Roten Überriesen beobachteten: Beteigeuze hatte innerhalb eines Jahres zwei Drittel seiner Leuchtkraft verloren und sich stellenweise stark abgekühlt. Es war zunächst unklar, ob diese Veränderungen nur vorübergehend oder aber Vorboten einer Supernova sind. Erst im Sommer 2020 zeigten weitere Beobachtungen, dass die Verdunklung von einer riesigen Staubwolke herrührte, die bei einem Plasma-Ausbruch ins All hinausgeschleudert worden war.

Noch nie zuvor beobachtete Eruption

Was genau bei der Explosion passierte und welche Folgen sie für Beteigeuze hat, haben nun Astronomen um Andrea Dupree vom Harvard & Smithsonian Center for Astrophysics in den USA nun anhand der Beobachtungsdaten verschiedener Teleskope rekonstruiert. Demnach platzte Beteigeuze im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Nähten. Eruptionen tief im Sterneninneren erzeugten einen konvektiven Plasmaaufstrom von einer Milliarde Kilometer Durchmesser, der sich seinen Weg an die Oberfläche bahnte.

Der gigantische Ausbruch sprengte einen großen Teil der Photosphäre heraus – der sichtbaren Sternenoberfläche. Die Masse dieses Plasma-Auswurfs entsprach dabei der von mehreren Erdmonden – und war 400 Milliarden Mal so massereich wie ein normaler Plasmaausbruch auf unsere Sonne. Anders bei den solaren Massenauswürfen stammte das Material dieser Eruption zudem nicht aus der Atmosphäre des Sterns, sondern von seiner Oberfläche.

„Einen so gewaltigen Massenauswurf von der Oberfläche eines Sterns haben wir noch nie zuvor gesehen“, sagt Dupree. „Das ist ein völlig neues Phänomen – was da genau vor sich geht, verstehen wir noch immer nicht bis ins Detail.“

Ausgekühlte „Wunde“

Klar scheint immerhin, wie die Abkühlung und Verdunklung des Riesensterns zustande kam: „Als Folge dieses substanziellen Materialverlusts sank die Temperatur der stellaren Photosphäre und die Dichte der Chromosphäre verringerte sich“, berichten die Astronomen. Die Chromosphäre ist die Schicht aus dünnem Gas, die direkt über der sichtbaren Sternenoberfläche liegt. Die gewaltige „Wunde“ in der Oberfläche des Roten Überriesen trug so zur beobachteten Abkühlung des Sterns bei.

Das bei der Eruption ausgeschleuderte Material kondensierte im kalten Weltraum zu Staub aus und trug zusätzlich zur Verdunklung von Beteigeuze bei: Die Wolke schob sich zwischen den Stern und die Erde und blockierte damit einen Teil seines Lichts. Inzwischen hat sich diese Wolke verzogen und der Überriese strahlt wieder fast so hell wie früher.

Pulsieren
Beteigeuze hat sein typisches 400 Tage dauerndes Pulsieren verloren: Die gestrichelte blaue Linie zeigt den normalen Puls, die rote die tatsächlich gemessenen Veränderungen. © NASA/ ESA, Elizabeth Wheatley (STScI)

Verstummter „Herzschlag“

Doch zur Normalität ist der Riesenstern noch nicht zurückgekehrt: Der Nachhall der Eruption erzeugt schnelle Schwingungen im Inneren des Sterns – wie das Nachschwingen einer angeschlagenen Glocke. Auch die Oberfläche von Beteigeuze vibriert noch immer wie ein Wackelpudding, wie Spektralanalysen nahelegen. Gleichzeitig jedoch ist eines der seit 200 Jahren typischen Merkmale des Überriesen verschwunden: Das langsame Pulsieren seiner Helligkeit und Oberfläche im Takt von rund 400 Tagen.

Die Astronomen vermuten, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis der angeschlagene Stern wieder in seine normalen Rhythmen findet. „Gegenwärtig sehen wir ein winziges Wiederaufleben der Oszillationen, allerdings mit der doppelten Frequenz der Hauptpulsation“, berichtet Koautor Thomas Granzer vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam. „Wie bei einem Streichinstrument erwarten wir, dass diese vorübergehende Reaktion schließlich den gewohnten Pulsationen mit einer Periode von etwa 400 Tagen weichen wird.“

Sternentwicklung in Echtzeit

Der gigantische Massenauswurf und seine Nachwehen geben aber auch wertvolle Hinweise darauf, wie sich ein so massereicher Stern wie Beteigeuze seinem Ende nähert. „Wir können hier die Sternenentwicklung in Echtzeit beobachten“, sagt Dupree. So legen Aufnahmen unter anderem des Hubble-Weltraumteleskops nahe, dass Beteigeuze möglicherweise nicht zum ersten Mal einen großen Massenauswurf erlebt. „Klumpen von Stab in seiner Umgebung deuten darauf hin, dass auch bei früheren Ereignissen schon Material ausgeschleudert wurde“, berichten die Astronomen.

Solche episodischen Eruptionen könnten demnach neben dem starken Sternenwind dazu beitragen, dass Riesensterne am Ende ihres Lebenszyklus erhebliche Teile ihrer Masse verlieren. Irgendwann führen dann die versiegende Kernfusion im Inneren und der Massenverlust dazu, dass der Stern instabil wird und in einer Supernova explodiert. Wann dies bei Beteigeuze soweit ist, können auch die Astronomen nicht vorhersagen. Wenn dies jedoch passiert, wird der Schulterstern des Orion sogar tagsüber hell am Himmel erstrahlen. (The Astrophysical Journal, 2022, in press; arXiv:2208.01676)

Quelle: NASA, Space Telescope Science Institute, Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Weißer Zwerg

Weiße Zwerge - Planetenzerstörer, Kristallkugeln und stellare Wiedergänger

Bücher zum Thema

Sterne - Wie das Licht in die Welt kommt von Harald Lesch und Jörn Müller

Top-Clicks der Woche