Medizin

Corona: Antivirale Therapie kann Virus-Mutationen fördern

Virologen ertappen das Coronavirus beim Mutieren nach Remdesivir-Kontakt

Coronavirus
Eine Therapie mit antiviralen Wirkstoffen kann offenbar Mutationen des Coronavirus begünstigen. © peterschreiber.media/ Getty images

Virale Ausweichstrategie: Virologen haben neue Erkenntnisse dazu, wann und warum das Coronavirus mutiert und neue Varianten bildet. Demnach fördert die Therapie mit antiviralen Mitteln wie Remdesivir die Mutationsfreudigkeit von SARS-CoV-2 offenbar besonders, wie Beobachtungen bei Patienten zeigen. Dagegen reagiert das Coronavirus in immungeschwächten Patienten mit anhaltendem Covid-19 per se nicht mit vermehrten Mutationen, wie die Forschenden berichten.

Ob Alpha, Delta oder Omikron: Im Laufe der Corona-Pandemie hat das Coronavirus SARS-CoV-2 immer wieder neue Mutanten entwickelt. Doch wie entstehen diese Virusvarianten? Virologen vermuteten bisher, dass immungeschwächte Patienten mit langanhaltendem, hartnäckigem Covid-19 dabei eine Schlüsselrolle spielen. Denn in diesen kann sich das Coronavirus über lange Zeit ohne große Gegenwehr vermehren, Mutationen haben daher Zeit, sich anzureichern und die für das Virus günstige Kombination zu bilden.

Hinzu kommt: Wenn solche Patienten mit Antikörper-Präparaten oder Serum von Genesenen behandelt werden, kann dies in ihrem Viren-Cocktail die Mutationen begünstigen, die den Erreger gegen solche Antikörper immun machen. Erste Hinweise darauf lieferte bereits Anfang 2021 eine Studie.

Viruspopulation von Langzeit-Patienten untersucht

Einen weiteren Auslöser für Mutationen von SARS-CoV-2 haben nun Andreas Heyer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und seine Kollegen entdeckt. Für ihre Studie hatten sie Virenproben von 14 immungeschwächten Patienten untersucht, deren Covid-19-Erkrankung zwischen 30 und 146 Tage lang anhielt. Einige Patienten wurden im Laufe dieser Zeit mit dem antiviralen Mittel Remdesivir behandelt, andere nur mit entzündungshemmenden Mitteln.

Mithilfe einer Genom-Sequenzierung untersuchte das Team, wie sich die Virenpopulation im Verlauf der Krankheit und Behandlung genetisch veränderte. Bei den auftretenden Mutationen prüften sie zudem, wie gut sich diese im Patienten gegenüber anderen Varianten durchsetzten und ob die Mutationen sich im Erbgut des Coronavirus etablieren konnten.

Gehäufte Mutationen nach Remdesivir-Gabe

Das Ergebnis: „Insgesamt war das Virus in den allermeisten untersuchten Personen erstaunlich stabil!“, berichtet Koautor Adam Grundhoff vom Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg. Bei den 14 Patienten und 112 Virenproben zeigte sich in nur vier Isolaten ein signifikanter Anstieg stabiler mutierter Virenformen. „Eine langanhaltende Infektion allein fördert demnach nicht per se die Bildung neuer Virusvarianten“, erklären die Wissenschaftler.

Anders ist dies aber offenbar, wenn diese Patienten zusätzlich antivirale Therapien erhalten. „Wir konnten in einer Patientin, die mit Remdesivir behandelt wurde, beobachten, dass es unmittelbar nach Behandlungsbeginn zur Bildung einer hohen Anzahl von Mutationen kam – darunter auch mindestens einer Mutation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhöhte Resistenz gegenüber Remdesivir vermittelt“, so Grundhoff.

Alle neun bei dieser Patientin identifizierten Mutationen konnten sich zudem schon nach wenigen Tagen in ihrer Virenpopulation etablieren. Sie fanden sich schnell bei 100 Prozent der beprobten Viren wieder, wie das Team berichtet. Von den restlichen beiden Patienten mit antiviraler Therapie entwickelte einer keine bleibenden Virusmutanten, beim zweiten traten zwei Mutationen auf, blieben aber nicht erhalten.

Genetische Flaschenhälse als Variantenbringer

Nach Ansicht der Virologen bestätigen diese Ergebnisse, dass antivirale Therapien das Auftreten von Virusmutationen und ihre Etablierung im Virusgenom fördern können. „Unsere Arbeit zeigt, dass es nicht die lange Infektionsdauer an sich ist, welche die Bildung neuer Varianten nach sich zieht“, sagt Koautorin Nicole Fischer vom UKE. Stattdessen bedürfe es dazu eines evolutionären Flaschenhalses – einer Situation, in der sich Anzahl und genetische Vielfalt der Viren stark verringert. In der dann verarmten Population können sich dann die mutierten Formen durchsetzen und vermehren.

Solche genetischen Flaschenhälse der viralen Entwicklung treten bei SARS-CoV-2 offenbar vor allem dann auf, wenn ein Patient mit antiviralen Wirkstoffen wie Remdesivir oder Antikörpern aus dem Plasma Genesener behandelt wird. Eine Therapie kann demnach Leben retten, aber auch die Entwicklung neuer Virusvarianten fördern.

Bedeutung für künftige Therapien

„Diese Erkenntnis ist besonders mit Blick auf die jüngsten Diskussionen über den Einsatz von Remdesivir zur Behandlung von nicht hospitalisierten Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten wichtig, aber auch für die Einführung potenziell neuer antiviraler Therapeutika“, sagt Fischer. Denn wenn auch noch nicht schwer erkrankte Patienten quasi prophylaktisch diese Mittel erhalten, könnte dies die Bildung weiterer Virusvarianten begünstigen. (Cell Reports Medicine Preprint, 2022; doi: 10.1016/j.xcrm.2022.100735)

Quelle: Leibniz-Institut für Virologie (LIV)

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