Neurowissenschaften

Neue Art von Synapsen entdeckt

Cilien-Kontaktstellen an unseren Hirnzellen leiten Impulse direkt in den Zellkern weiter

Synapse
Synapsen sind die Schaltstellen unserer Nervenzellen. An ihnen werden elektrische Nervenreize über biochemische Neurotransmitter an Nachbarzellen übertragen. © Alexmit/ Getty images

Überraschender Fund: An unseren Nervenzellen haben Forschende eine noch unbekannte Art von Synapsen entdeckt. Diese neuronalen Schaltstellen liegen nicht an den bekannten Nervenfortsätzen, sondern an winzigen haarähnlichen Cilien der Zelloberfläche. Werden diese Synapsen durch Neurotransmitter wie Serotonin aktiviert, löst dies Veränderungen direkt im Zellkern aus – und kann das Ablesen der DNA beeinflussen, wie das Team im Fachjournal „Cell“ berichtet.

Gängiger Lehrmeinung nach liegen die Synapsen der Nervenzellen an ihren langen Fortsätzen, den Axonen. Diese übermitteln neurochemische Signale an Dendriten der Nachbarzelle – etwas kürzeren, wurzelartig verzweigten Zellausläufern. An diesen axo-dendritischen Schaltstellen lösen die elektrischen Signale der Neuronen die Freisetzung von Botenstoffen aus dort vorrätigen Bläschen aus. Diese Neurotransmitter docken auf der Dendritenseite der Synapse an Rezeptoren an und lösen dann in der Empfängerzelle erneut elektrische Signale aus.

Kontaktstelle
Modell der neu entdeckten Kontaktstelle zwischen Cilien (gelb) auf der Oberfläche von Neuronen und den Axonen (blau) von Nachbarzellen. © HHMI, Sheu et al./Cell

Das Rätsel der Cilien

Doch wie sich nun zeigt, ist dieses gängige Bild unvollständig: Es gibt an unseren Nervenzellen noch einen weiteren, bisher übersehen Synapsentyp, wie Forschende um Shu-Hsien Sheu vom Howard Hughes Medical Institute in Boston entdeckt haben. Ziel ihrer Studie war es eigentlich, die Struktur und Funktion der sogenannten primären Cilien an einigen unserer Zellen aufzuklären. Diese winzigen, haarähnlichen Röhrchen ragen nur wenige Mikrometer aus der Zelle hinaus und entsprechen den Geißeln unserer einzelligen Ururahnen.

Bei einigen unserer Zellen, beispielsweise in den Atemwegen oder bei den Spermien, haben die Cilien wichtige Funktionen für Bewegung und Transport. Auch bei der Zellteilung spielen sie eine wichtige Rolle, werden aber bei den meisten Zellen anschließend wieder abgebaut. „Weniger klar ist daher, welche Funktion die primären Cilien im reifen Gehirn haben, in dem sich die meisten Neuronen nicht mehr teilen oder differenzieren“, erklären Sheu und seine Kollegen. „Dennoch sind sie in den meisten Neuronen und Gliazellen des Gehirns noch vorhanden.“

Kontakt von Cilien mit Axonen

Um das zu klären, nutzte das Forschungsteam eine spezielle Form der Elektronenmikroskopie, das Ionenfeinstrahl-Rasterelektronenmikroskop (FIB-SEM). Bei diesem wird die Probe statt mit Elektronen mit Ionen abgetastet. In Kombination mit Antikörpern, die speziell an den Cilien andocken, konnten Sheu und sein Team so diese Zellausläufer und ihre Kontaktstellen bei Nervenzellkulturen aus dem Hippocampus von Mensch und Maus analysieren.

Es zeigte sich Überraschendes: Rund 80 Prozent der Cilien auf den Hirnzellen ragten nicht einfach nur in den freien extrazellulären Raum hinaus, sondern berührten Axone von Nachbarzellen. „Das warf die Frage auf, ob diese neuronalen Cilien möglicherweise spezialisierte Kontakte mit den Axonen bilden und ob es sich dabei um Orte der neuronalen Informationsübertragung handelte“, berichten die Wissenschaftler. Um das herauszufinden, untersuchten sie mithilfe spezieller Biomarker, ob es an diesen Kontaktstellen Vesikel und andere Synapsen-typische Strukturen gab.

axo-ciliäre Synapse
Mit dem Neurotransmitter Serotonin gefüllte Vesikel und weitere Strukturen belegen, dass an den Kontaktstellen von Cilie und Axon biochemische Informationen übertragen werden. © HHMI, Sheu et al./Cell

Eine neue Art von Synapse

Tatsächlich enthüllten die Analysen, dass die Kontaktstellen zwischen den Cilien und Axonen alle Merkmale einer Synapse aufwiesen: „In den Axonen sind Vesikel an der Plasmamembran zu erkennen, von denen manche gerade andocken oder mit der Membran verschmelzen – das deutet auf die Freisetzung von Stoffen hin“, erklären die Forschenden. Eine Fluoreszenzlebensdauer-Mikroskopie (FLIM) enthüllte, dass in rund 36 Prozent der beobachteten Kontaktstellen der Neurotransmitter Serotonin vom Axon an die Cilie übertragen wird.

„Das war ein echter Game Changer“, sagt Sheu. Denn damit hat das Team einen ganz neuen Typ von Schaltstellen zwischen Nervenzellen entdeckt – die axo-ciliäre Synapse. Anders als zuvor gedacht kommunizieren unsere Neuronen demnach nicht nur über die Schaltstellen zwischen Dendriten und Axonen, sondern auch über Verbindungen, die vom Axon über die Cilien direkt ins Innere der Nervenzelle führen.

Direkter Einfluss auf die Genaktivität der Nervenzelle

Doch die neu entdecken Synapsen haben auch eine funktionale Besonderheit: Nähere Analysen enthüllten, dass diese Kontaktstellen nicht einfach nur elektrische Signale in der Empfängerzelle verursachen wie die normalen Synapsen. Stattdessen lösen sie eine biochemische Kaskade aus, die bis in den Zellkern reicht und dort Veränderungen an den Histonen und am Chromatin bewirkt – der „Verpackung“ des Erbguts, die das Ablesen der DNA entscheidend beeinflusst.

„Das ist bedeutend, weil das Chromatin so viele Aspekte der Zelle prägt“, erklärt Sheus Kollege David Clapham. „Diese spezielle Synapse repräsentiert einen Signalweg, der beeinflussen kann, was im Zellkern transkribiert wird – und das kann ganze Genprogramme verändern.“ Anders als die kurzlebigen Reize der normalen Synapsen verursacht die neu entdeckte axo-ciliäre Synapse damit langfristige Veränderungen der Gen- und Zellaktivität, die Stunden, aber auch Jahre anhalten können.

„Antenne des Zellkerns“

Nach Ansicht des Forschungsteams enthüllt ihre Entdeckung damit eine ganz neue Art und Weise, in der Nervenzellen auf ihre Umwelt und auf Reize reagieren können. Die Cilien-Synapsen dienen dabei als eine Art „Antenne des Zellkerns“, über die Reize direkt auf die Genaktivität der Zelle wirken. „Das weckt die spannende Möglichkeit, dass die primären Cilien als epigenetischer Regulator agieren, der das Transkriptionsprogramm an Umweltreize anpasst“, erklären Sheu und seine Kollegen.

Das Forschungsteam will nun als nächstes untersuchen, ob die neu entdeckten axo-ciliären Synapsen auch auf andere Neurotransmitter als Serotonin reagieren. Denn wie ihre Analysen bereits zeigten, gibt es auf den Cilien der Gehirnzellen mindestens noch Rezeptoren für sieben bis zehn weitere Botenstoffe. Ungeklärt ist auch noch, ob die Cilien von Zellen in anderen Organen als dem Gehirn womöglich auch eine Signalfunktion besitzen.

„Unsere Entdeckung eröffnet eine Menge Möglichkeiten, an die wir vorher nie gedacht hätten“, sagt Clapham. (Cell, 2022; doi: 10.1016/j.cell.2022.07.026)

Quelle: Howard Hughes Medical Institute

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