Uralt und riesig: In der arabischen Nefudwüste haben Archäologen hunderte Monumentalbauten aus der Steinzeit entdeckt. Die teils mehrere Kilometer großen Anlagen bestehen aus trichterförmig zulaufenden Steinmauern, die in sternförmigen, von tiefen Gruben durchsetzten Fallen enden. Gazellen und andere Wildtiere wurden in diese sogenannten „Desert Kites“ hineingetrieben und getötet. Die bis zu 10.000 Jahre alten Bauwerke zeugen davon, dass Menschen auch damals schon komplexe, monumentale Bauten schufen.
Die Wüstenregionen Afrikas und der Arabischen Halbinsel gelten oft als leere Gebiete, in denen es auch früher kaum Zivilisationen oder nennenswerte kulturelle Errungenschaften gab. Doch das täuscht. Denn anders als es unsere oft eurozentrische Sichtweise nahelegt, hinterließen auch die steinzeitlichen Nomadenvölker im arabischen und afrikanischen Raum einige erstaunlich monumentale Bauten – darunter riesige Grabanlagen, Megalithkomplexe und Steinkreise.
„Desert Kites“ – monumentale Jagdbauten aus der Steinzeit
Ein weiteres Zeugnis steinzeitlicher Bautätigkeit haben nun Archäologen um Michael Fradley von der University of Oxford entdeckt. Für ihre Studie hatten sie Satellitenaufnahmen der Nefud-Wüste im Norden der Arabischen Halbinsel ausgewertet, um nach verborgenen Großstrukturen zu suchen. Im Speziellen hofften sie, dort sogenannte „Desert Kites“ zu finden – teils kilometerlange, trichterförmig zulaufende Steinmauern, die in unterschiedlich geformten Gehegen enden.
Gängiger Theorie nach dienten diese riesigen Strukturen als Jagdfallen für Wildtiere. „Die seitlichen Mauern lenkten die von den Jägern getriebenen Tiere in Richtung des umhegten Kopfes, wo die Beute dann gefangen und getötet werden konnte“, erklären Fradley und sein Team. In vielen dieser „Kites“ ist das sternförmige oder runde Endgehege zudem von tiefen Gruben durchsetzt, die als Fallen für die Wildtiere dienten. Datierungen zufolge sind die ältesten Strukturen dieser Art schon rund 10.000 Jahre alt.
Bisher wurden die meist nur aus der Luft erkennbaren „Desert Kites“ vor allem in Jordanien, in der Negevwüste, in Syrien und am Westrand der Arabischen Halbinsel gefunden. Ob es sie auch anderswo gegeben hat, ist daher noch ungeklärt. Deshalb haben Fradley und seine Kollegen nun zunächst in der Nefudwüste im östlichen und nördlichen Teil der Arabischen Halbinsel nach solchen Strukturen gesucht.
354 riesige Jagdbauten in der Nefud
Tatsächlich wurden die Archäologen fündig: Die Satellitenbilder enthüllten zum einen zahlreiche Steinkreise, künstlich aufgeschichtete Steinhügel und sogenannte Mustatil-Bauten – rechteckige, von Mauern begrenzte Strukturen. Zum anderen aber 354 riesige, zuvor unerkannte Desert Kites. Zwei Drittel dieser Jagdbauten haben ein klassisch sternförmiges Kopfgehege wie im östlichen Jordanien. Bei einem Viertel ist die Form des Geheges nicht klar erkennbar, weil Sand sie überdeckt oder die Steine später für andere Zwecke weggetragen wurden.
„Die Kopfgehege dieser Bauten sind teilweise mehrere 100 Meter breit“, berichtet Fradley. „Die noch erhaltenen Teile der seitlichen Trichtermauern sind bei einigen dieser Kites mehr als vier Kilometer lang und schnurgerade – trotz wechselndem Terrain – das zeugt von dem unglaublichen Niveau der Fertigkeiten, auf dem diese Strukturen geplant und gebaut wurden.“ Denn um Bauwerke dieser Ausdehnung zu errichten, müssen viele Menschen über lange Zeit koordiniert zusammengearbeitet haben.
Nach Westen hin ausgerichtet
Von gezielter Planung zeugt auch die Ausrichtung der monumentalen Fallen: Fast alle Trichter sind so gebaut, dass ihr Kopfgehege im Westen liegt und die Trichter-Mauern im Osten beginnen, wie die Archäologen feststellten. Darin ähneln sie ebenfalls den schon aus Jordanien und der Levante bekannten Desert Kites. Gängiger Annahme nach hängt diese Ausrichtung mit bevorzugten Wanderungsrouten der Huftier-Herden in diesen Regionen zusammen.
Denkbar wäre nach Ansicht der Archäologen aber auch, dass die Ost-West-Ausrichtung den Steinzeitjägern die Treibjagd bei Sonnenaufgang oder -untergang erleichterte: Die abends tiefstehende Sonne blendete die auf das Gehege zulaufenden Gazellen, sodass sie die Falle nicht erkannten. Umgekehrt wäre es aber auch denkbar, dass das Blenden von hinten bei einer morgendlichen Jagd die Wildtiere daran hinderte, umzukehren und so der Falle zu entkommen.
Steinzeitliche Fernverbindungen
Bedeutend sind die neu entdeckten Desert Kites aber auch wegen ihrer geografischen Lage: „Unsere Funde erweitern die bekannte Ausbreitung dieser Strukturen erheblich“, erklären Fradley und seine Kollegen. Dies hat in gleich zweierlei Hinsicht große Bedeutung: Zum einen bestätigen die riesigen Jagdbauten in der Nefudwüste und auf ihrem Al Labbah-Plateau, dass diese heute lebensfeindliche Wüstenregion vor 8.000 bis 10.000 Jahren noch feuchter und grüner gewesen sein muss – sonst hätte es dort keine Wildtiere gegeben.
Zum anderen werfen neu entdeckten Desert Kites ein neues Licht auf die kulturellen Beziehungen verschiedener Nomadengruppen in der damaligen Zeit. Denn die Sternform und Ausrichtung der Fallen legen nahe, dass es damals Kontakt zwischen dem heutigen Jordanien und der Nefudwüste gab – über 400 Kilometer hinweg. „Ob diese Verbindung die Bewegung von Menschen oder Idee repräsentierte und in welche Richtung diese Kontakte verliefen, sind Fragen, die wir nun beantworten müssen“, schreiben die Archäologen. (The Holocene, 2022; doi: 10.1177/09596836221114290)
Quelle: University of Oxford, The Holocene