Drogenreste im Grab: In Israel haben Archäologen die weltweit ältesten Belege für den Konsum von Opium entdeckt. Demnach wurde das Rauschmittel schon vor 3.500 Jahren bei Totenritualen genutzt und den Toten mit auf den Weg ins Jenseits gegeben. Davon zeugen Keramikgefäße in Gräbern aus der späten Bronzezeit, in denen Rückstände von Opium und anderen pflanzlichen Inhaltsstoffen nachgewiesen wurden. Die Herkunft der Gefäße deutet zudem darauf hin, dass das Opium über Zypern in die Levante importiert wurde.
Berauschende und halluzinogene Drogen haben eine lange Tradition: Frühe Schamanen nutzten psychoaktive Substanzen für ihre Trance, Heiler betäubten damit ihre Patienten und in Heiligtümern förderten Cannabis und berauschende Dämpfe die religiöse Ekstase. Im Nordwesten Chinas gaben Menschen vor gut 2.500 Jahren sogar ihren Toten Hanfpflanzen ins Jenseits mit. Auch Opium wurde schon vor rund 5.000 Jahren kultiviert, wie Keilschrifttafeln aus Mesopotamien und ägyptische Texte nahelegen. Archäologische Belege dafür fehlten jedoch bisher weitgehend.
Ritual am Grab
Jetzt haben Archäologen in Israel die bisher frühesten Zeugnisse des Opium-Konsums entdeckt. Der Fundort, Tel Yehud, liegt im Außenbereich von Tel Aviv und rund 13 Kilometer östlich der Stadt Jaffa. Weil dort eine Siedlung gebaut werden sollte, führte ein Team um Vanessa Linares von der Universität Tel Aviv eine Rettungsgrabung durch, in deren Verlauf hunderte Gräber aus der späten Bronzezeit mitsamt Grabbeigaben entdeckt wurden. Die Gräber stammten aus dem 18. bis 14. Jahrhundert vor Christus.
„In den Gräbern platzierte Keramikgefäße wurden für zeremonielle Mahlzeiten, Riten und Rituale genutzt, die von den Lebenden für ihre toten Familienangehörigen durchgeführt wurden“, erklärt Ron Be’eri von der israelischen Archäologiebehörde. „Die Toten wurden mit Speisen und Getränken geehrt, die entweder direkt in die Gefäße gegeben wurden oder die bei einem Fest am Grab konsumiert wurden, bei denen die Toten als Mitfeiernde angesehen wurden.“
Keramikgefäße in Form einer Mohnblüte
Das Besondere jedoch: In einigen dieser Gräber wurden nicht nur Tongefäße aus heimischer Produktion gefunden, sondern auch sogenannte Basis-Ring-Gefäße aus Zypern. Dabei handelt es sich um kleine, bauchige Keramikgefäße, die einer auf dem Kopf stehenden Schlafmohnblüte ähneln. Schon länger wird deshalb vermutet, dass in diesen Gefäßen einst aus Mohnkapseln gewonnenes Opiumöl aufbewahrt und gehandelt worden ist.
Um herauszufinden, was einst in den Basis-Ring-Gefäßen aus den Gräbern von Tel Yehud enthalten war, brachten Linares und ihr Team 22 Keramikgefäße unterschiedlicher Typen ins Labor und nahmen Proben von der inneren Gefäßwand. Diese unterzogen sie einer chemischen Analyse mithilfe der Gaschromatografie-Massenspektrometrie (GC-MS) – in der Hoffnung, dort Rückstände des Inhalts zu finden.
Opium-Rückstände belegen Drogennutzung und -import
Tatsächlich wurden die Archäologen fündig: In acht der in den Gräbern gefundenen Basis-Ring-Gefäße konnten sie mehrere Opioid-Alkaloide nachweisen, darunter Opiansäure, Morphine und weitere Abbauverbindungen von Opium. Nach Angaben der Forschenden spricht dies klar dafür, dass in diesen Gefäßen einst Opium enthalten war. Rückstände von Pflanzenölen, Wachsen und weiteren organischen Verbindungen legen zudem nahe, dass diese Droge in Form eines Öls transportiert und verwendet wurde.
Die rund 3.500 Jahre alten Grabgefäße aus Tel Yehud sind damit der bisher älteste eindeutige Nachweis einer Nutzung von Opium weltweit, wie das Team erklärt. Gleichzeitig ist dies auch das älteste archäologische Zeugnis für den Gebrauch von halluzinogenen Drogen überhaupt. Linares und ihr Team vermuten, dass das Opium aus Kleinasien stammt und dann über Zypern in die Levante und ins bronzezeitliche Kanaan importiert wurde.
Fürs Jenseits und das Totenritual
Nach Ansicht der Archäologen wurde das Opium wahrscheinlich vor allem im Rahmen von Ritualen verwendet – in Tel Yehud war dies bei Bestattungen der Fall. „Wir wissen allerdings nicht, was die genaue Funktion des Opiums bei diesen Totenzeremonien war: Die Kanaaniter von Tel Yehud könnten geglaubt haben, dass die Toten das Opium im Jenseits benötigten“, sagt Linares. Vielleicht sollte die Droge dem Geist der Verstorbenen dabei helfen, sich aus dem Grab zu lösen, um ins Jenseits überzugehen.
Denkbar wäre aber auch, dass die Priester die Droge beim Totenritual konsumierten, weil sie so dem Glauben der Kanaaniter nach mit den Geistern der Toten in Verbindung treten konnten. „Aus alten Dokumenten wissen wir, dass die Kanaaniter großen Wert darauf legten, durch Rituale und Zeremonien die Bedürfnisse der Toten zu befriedigen“, erklärt Be’eri. „Im Gegenzug würden die Geister der Toten ihnen und ihren Angehörigen dann Gesundheit und ein gutes Leben sichern, so die Vorstellung.“
Droge mit großer Bedeutung
Der Nachweis der Opium-Rückstände in den bronzezeitlichen Gefäßen wirft damit neues Licht auf die Bestattungs-Kultur im alten Kanaan und auf die Rolle von Opium in den Kulturen der späten Bronzezeit. „Man muss bedenken, dass das Opium aus Schlafmohn erzeugt wurde, der damals in Kleinasien wuchs, während die Gefäße in den Gräbern aus Zypern stammten“, sagt Linares. „Das Opium muss demnach über mehrere Stationen nach Kanaan gelangt sein – das unterstreicht die große Bedeutung, die dieser Droge damals beigemessen wurde. (Archaeometry, 2022; doi: 10.1111/arcm.12806)
Quelle: Tel-Aviv University